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Die blutende Statue

Die blutende Statue

Titel: Die blutende Statue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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vorliegenden Fall entspricht das Bild der Wahrheit, es hinkt sogar noch hinter der Realität her.
    Charles-Marie Bonaventure du Breil, Marquis de Rays, wurde 1832 im alten Stammschloss seiner Ahnen bei Quimerch im Departement Finistère geboren.
    Wie es in solchen Familien die Regel war, zeichnete sich seine Kindheit zugleich durch Müßiggang und Strenge aus. Darum nutzte der junge Charles-Marie seine Zeit zum Träumen. Leidenschaftlich verschlang er alle Reise- und Forschungsberichte, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts groß in Mode waren. Zwischen den dicken Mauern seiner Burg reiste er mehrmals täglich rund um die Welt.
    Doch der zukünftige Marquis de Rays war nicht nur ein Träumer. Sobald er das nötige Alter erreicht hatte, schritt er zur Tat. Mit zwanzig bestieg er das erstbeste Schiff nach Amerika. Dort angekommen verweilte er nicht lange, sondern fuhr in den Wilden Westen, um sich die Wilden an der Pazifikküste anzusehen.
    Auf der Rückreise machte er einen Umweg über den Senegal, wo er Handelsniederlassungen und Firmen gründete, die jedoch jedes Mal ein Fehlschlag waren. Danach fuhr er nach Madagaskar, weiterhin mit dem einen Ziel, reich zu werden. Als ihm auch dort jeder Erfolg versagt blieb, unternahm er einen letzten Abstecher nach Saigon. Da jedoch alle Unternehmungen immer wieder scheiterten, kehrte er schließlich in sein Stammschloss im Finistère zurück.
    Damals war er achtunddreißig Jahre alt und stand kurz vor dem Ruin, doch hatte er in der Ferne einige Ideen gesammelt, die nur darauf warteten, in einem einzigen großen Plan Gestalt anzunehmen. Und den entwickelte er auch bald.
    1870 war Charles-Marie Bonaventure du Breil, Marquis de Rays, verbittert über die Neuigkeiten aus Paris. Rastlos wanderte er durch die langen Flure und die riesigen, leeren Räume seines Schlosses.
    Was musste er erfahren? Was musste er hören? Am 4. September hatte eine Bande von Aufrührern die Republik ausgerufen! Das war das Ende. Auf politischem Gebiet besaß der Marquis de Rays nämlich feste Überzeugungen. Er war das Musterbeispiel für einen »Ultra«, wie sie damals genannt wurden. Für ihn waren die Dinge einfach: Bis zur Französischen Revolution 1789 war alles gut gegangen. Seitdem waren das Unheil, der Schrecken und der Teufel persönlich auf die Erde herabgekommen, um die beiden einzigen Dinge zu vernichten, an die er glaubte: die Monarchie und die Religion. Dass Napoleon III. den Krieg verloren hatte, war nicht verwunderlich. In den letzten Jahren hatte er sich mit einem Haufen Liberaler umringt. Einen anderen Grund musste man dafür gar nicht suchen.
    Diese Ansichten waren zwar simpel, andererseits aber auch klar umrissen und der Marquis de Rays notierte sie unverzüglich schwarz auf weiß in einer wundervollen Denkschrift, die für Thiers, den einflussreichsten Politiker seiner Zeit, bestimmt war. Die musste Thiers so beeindrucken, dass er ihn an seine Seite berufen würde.
    Doch ein Jahr, mehrere Jahre verstrichen, ohne dass Thiers etwas von sich hören ließ. 1877 sah der Marquis schließlich ein, dass er auf seine wundervolle Denkschrift nie eine Antwort erhalten würde. Darüber wurde er rot vor Wut, wenn man sich diesen Ausdruck in Bezug auf ihn gestatten darf.
    »In diesem Land muss man wirklich alles selbst machen!«
    Von dem Tag an machte der Marquis tatsächlich alles selbst. Er verwirklichte seine alte Idee aus der Kindheit, die in den Jahren voller Müßiggang aufgekeimt und auf seinen endlosen Reisen herangereift war. Er wollte ein Reich gründen, eine echte Monarchie, deren König er selbst sein sollte.
    Sein Name als Herrscher verstand sich von selbst: Charles I. Auch sein Programm stand längst fest: der Absolutismus. Seine Fahne war natürlich weiß, mit einem großen, blauen, von Lilien umringten »C«. Und sein Leitspruch lautete »Gott, Vaterland, Freiheit«, was mindestens so gut klang wie das fürchterliche »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Ihm fehlten nur noch das Reich und die Untertanen, aber die zu finden war kein Ding der Unmöglichkeit, sagte er sich.
    Da Charles-Marie de Rays ein entschlossener, sogar starrköpfiger Mann war — schließlich war er nicht umsonst Bretone — , begann er nach einem Reich und Untertanen zu suchen. Dabei zählte er besonders auf seinen Freund du Gois, einen Anwalt aus Quimper, der ein genauso fanatischer Royalist war. Tatsächlich war du Gois nicht im Geringsten überrascht, als ihm der Marquis von seinem unglaublichen Vorhaben

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