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Die blutende Statue

Die blutende Statue

Titel: Die blutende Statue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Titeu de La Croix, der für euch Sorge tragen wird, bis ich persönlich eintreffe.«
    Man klatschte Beifall. Der »Baron Titeu de La Croix« war nur ein biederer Papierwarenvertreter, der einfach Titeu hieß, aber was scherte das den Marquis de Rays? War er selbst nicht schon Charles I.? Durch die Bezeichnung »Baron« hatte er Titeu ganz einfach in den Adelsstand erhoben. Damit hatte er das erste Mitglied seines Hofstaates bestimmt.
    Danach nahm der Marquis de Rays feierlich den Hut ab. »Und jetzt, liebe Freunde, stimmen wir gemeinsam die Hymne von Port-Breton an: Geliebte Heimat, noch unbekannt, Nouvelle France , du goldnes Land ...«
    Alle sangen die Hymne im Chor mit. Die Männer und Frauen, die zu diesem großen Abenteuer aufbrachen, glaubten in diesem Moment daran. Die Frau des arbeitslosen Hafenarbeiters lächelte der Gattin des Gärtners zu, alle teilten dieselbe Hoffnung auf ein neues Leben. Natürlich wirkte der Marquis ein bisschen lächerlich mit seinem vornehmen Gehabe und nervte sogar mit seinen Moralpredigten. Doch für sie war Port-Breton die letzte Chance. Darum mussten sie einfach daran glauben.
     
    Im Gegensatz zu dem, was zu befürchten war, verlief die Überfahrt völlig normal. Es gab zwar ein paar Stürme, die die Chandernagor jedoch problemlos überstand. Unter der Leitung des amerikanischen Konsuls und des belgischen Zahnarztes kamen alle heil an, entweder weil das Schiff sehr solide war oder weil sie ganz einfach Glück hatten.
    Am 20. Januar 1880 warf der Dreimaster bei herrlichem Wetter — auf der südlichen Erdhalbkugel war Hochsommer — vor Port-Breton Anker. Hurrageschrei begleitete die Ankunft. Man umarmte sich und vergoss Freudentränen. Nicht nur, weil man angekommen war, sondern auch weil das, was man dort entdeckte, herrlich und bezaubernd war: ein traumhaftes Meer und eine mit üppiger Vegetation bedeckte Insel, auf der alles, was die Erde hervorbrachte, von ganz allein zu wachsen schien. Wenigstens aus der Ferne und solange man nicht an Land gegangen war, glich Port-Breton einem Paradies.
    Als allerdings alle übergesetzt und somit an Land waren, sah die Sache leider ganz anders aus. Die Insel war aus der Nähe zwar genauso hübsch wie aus der Ferne, doch war es offenbar unmöglich, etwas darauf anzubauen. Es handelte sich um ein Korallenriff, das nur mit einer hauchdünnen Humusschicht bedeckt war. Dort konnten zwar Kokospalmen, einige hohe Gräser und die herrlichsten tropischen Blumen gedeihen, aber ansonsten...
    Dennoch wollte man nicht sofort aufgeben. Schließlich hatte man nicht umsonst die halbe Erde umrundet. Außerdem wollte niemand nach Frankreich und damit ins Elend zurückkehren. Nein, das war unmöglich! Und so machte man sich an die Arbeit. Man baute Hütten aus Zweigen und versuchte, die Erde umzupflügen, doch war diese so dünn, dass die Pflugschar ständig im Korallengestein stecken blieb. Eine vergebliche Mühe. Mit Tränen der Wut mussten die Kolonisten einsehen, dass alles zwecklos war und dass man da nichts anpflanzen konnte.
    Zum Glück lebten dort ein paar Eingeborene, die übrigens die friedlichsten Menschen der Welt waren. Sie waren gern bereit, Tauschhandel zu treiben. Allerdings gaben sie ihre Fische nicht für bunte Glasperlen her, für die sie sich nicht im Geringsten interessierten, sondern nur gegen Tabak. So hielten die Kolonisten zwei Monate lang durch, bis der Tabakvorrat erschöpft war.
    Zu allem Unglück änderte sich nun auch das Klima. Nach dem schönen Wetter setzte Regen ein und mit ihm kam das Fieber. Auf Enttäuschung und Wut folgte Angst. Nahezu die halbe Kolonie wurde krank, darunter fast alle Kinder. Es gab weder Medikamente noch einen Arzt. Man hatte Probleme, den ersten Toten zu begraben, weil die Erde nicht tief genug war. Man musste welche hinzufügen, einen Grabhügel aufschütten. Nach und nach bedeckte sich die Insel mit seltsamen Buckeln, in denen Kreuze steckten.
    Trotzdem wollte man noch nicht verzweifeln, sondern wartete lieber. Man wartete auf das nächste Schiff mit der zweiten Welle von Kolonisten. Dann würde sich alles ändern. Außerdem käme auch der Marquis und der würde schon einen Weg, eine Lösung finden.
    Der Marquis de Rays war jedoch noch lange nicht in Port-Breton. Im Moment befand er sich in Spanien, nicht um dort Urlaub zu machen, sondern aus Notwendigkeit. Verschiedene Geldgeber hatten sich nämlich beschwert. Weil eine Untersuchung eingeleitet wurde, hatte er es für ratsam gehalten, über die

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