Die Bluterbin (German Edition)
einen Weg durch das tiefste Dickicht fanden.
26
Sie saßen nebeneinander auf einer kleinen Lichtung und genossen das sanfte Licht der Abendsonne. Robert hatte Marie den gebratenen, noch heißen Fisch auf einem großen Eichenblatt gereicht und ihr dabei zugesehen, wie sie ihn mit großem Appetit verzehrte, bevor er selbst etwas zu sich nahm. Der Wind raschelte leise durch die Bäume und strich ihnen kühlend über die von der Sonne erhitzten Gesichter. Im Geäst über ihnen sang ein Vogel.
Marie, die gerne mit Robert durch die Natur streifte, war einfach nur glücklich und wünschte sich, dass es noch möglichst lange dauern würde, bis sie Laon erreichten.
Plötzlich begann der Boden unter ihren Füßen zu beben. Drei schwer bewaffnete Reiter preschten in vollem Galopp auf sie zu und parierten ihre Pferde erst im letzten Moment vor ihnen durch. Es geschah alles so schnell, dass Robert und Marie im ersten Moment völlig überrumpelt waren.
Ein raubärtiger Kerl im Waffenrock sprang von seinem Ross und stapfte mit schweren Schritten auf sie zu.
„Wen haben wir denn da?“, wandte er sich höhnisch grinsend an seine drei Kameraden. „Dreistes Gesindel, das es wagt, am helllichten Tag die Fische des Herrn von Coucy zu stehlen?“
Robert sprang auf und stellte sich schützend vor Marie.
„Wir werden den Fisch bezahlen“, trat er der Beschuldigung sofort entgegen. „Wir sind keine Diebe.“ Der Mann schien zu überlegen, seine Augen glitzerten tückisch auf. Ohne jede Vorwarnung schoss seine rechte Hand vor.
Aber Robert duckte sich und konnte ihm im letzten Moment ausweichen. Der Raubärtige zog sein Schwert. Robert hatte keine Chance.
Auf einen Wink des Mannes sprangen seine zwei Kameraden von ihren Pferden und hielten Robert.
„Fesselt ihm die Hände“, befahl der Anführer seinen Begleitern, die jünger waren als er.
Dann kam er auf Marie zu und musterte sie von oben bis unten, bevor er sie packte und vor sich aufs Pferd setzte.
Marie ließ es widerstandslos geschehen. Sie wollte die Männer auf keinen Fall reizen, um Roberts Leben nicht zu gefährden.
„Wir reiten zurück.“ Der Raubärtige ritt voran.
Robert wurde mit gefesselten Händen hinter den Pferden hergezogen wie ein Stück Vieh.
Als sie zwei Stunden später aus dem Wald traten, verschlug es Marie vor Überraschung den Atem.
Direkt vor ihnen, auf der Spitze eines Hügels, erhob sich eine fünfturmige Burg. Größer und achtunggebietender als alles, was sie bisher gesehen hatte. Der steil abfallende, trutzige Hügel, auf dem sie errichtet worden war, ließ sie noch einmal mächtiger und bedrohlicher wirken, als sie eh schon war.
Eine böse Vorahnung beschlich sie. Sie versuchte, sich nach Robert umzudrehen, doch der Raubärtige hielt sie so fest zwischen seinen beiden Armen gefangen, dass es ihr nicht gelang, sich umzudrehen und einen Blick nach hinten zu werfen.
In der Mitte der Burg erhob sich ein mächtiger Rundturm, der doppelt so hoch war wie die ihn umgebenden vier Ecktürme. Der Turm war die zentrale Befestigung der Anlage. Sechzig Ellen im Durchmesser und hundertzwanzig Ellen hoch, konnte er während einer Belagerung sicher an die tausend Menschen beherbergen.
Er beschattete und beschützte die Burg zu seinen Füßen, die zusammengedrängten Dächer der Stadt, den Glockenturm der Kirche und die viel, viel kleineren dreißig Wachtürme der Wehrmauer, die den gesamten Komplex umschloss.
Durch eines der drei Wehrtore gelangten sie durch die äußere Befestigungsmauer, die den gesamten Hügel umgab und ihn von der Außenwelt abriegelte. Sie ritten weiter, vorbei an Stallungen, Wirtschaftsgebäuden, Turnierplätzen und großzügig für die Pferde der Ritter angelegten Weideflächen.
Der gesamte Burgkomplex bedeckte ungefähr eine Fläche von zwei Morgen. Seine vier Ecktürme, jeder von ihnen sechzig Ellen hoch und vierzig Ellen im Durchmesser, waren zusammen mit den drei Außenmauern direkt an den Rand des Burghügels gebaut worden. Dahinter, wo sich der Hügel wie ein Schwalbenschwanz ausbreitete, lag die Stadt. Auf der Südseite fiel der Hügel nach Soissons in einem steilen, leicht zu verteidigenden Abhang ab, auf der Nordseite, wo das Gelände in das Plateau von Laon auslief, versperrte ein breiter Wassergraben den Weg.
Das Wehrtor des zweiten Mauerrings war der einzige Zugang, den es im inneren Bereich der Burg gab. Es lag nahe dem Bergfried und wurde von zwei Wachtürmen von einem Wassergraben und einem Fallgitter
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