Die Bluterbin (German Edition)
vorgeführt. Es dauerte eine Weile, bevor sie von ihm bemerkt wurden.
Enguerrand winkte die Wachen näher heran. Sein Gesicht war von dem Wein, den er in unvorstellbaren Mengen in sich hineinschüttete, aufgedunsen und gerötet. Um seinen Mund lag ein grausamer Zug.
Roberts Hoffnung schwand, als er sah, wie Enguerrand Marie und ihn mit einem gleichgültigen Blick bedachte und sich dann anschließend sofort wieder seiner Tischnachbarin, einer Frau von außergewöhnlicher Schönheit, zuwandte. Diese trug ein goldfarbenes Gewand mit tiefem Ausschnitt, das den Ansatz ihrer Brüste gut erkennen ließ.
Als Enguerrand sich zu ihr umdrehte, warf sie ihm einen aufreizenden Blick zu. Auch sie schien mehr Wein getrunken zu haben, als es einer Dame von Stand zukam. Der Burgherr stellte seinen Weinbecher zur Seite, grabschte mit schwerfälligen Bewegungen nach ihrem Busen und begann ihn ohne jede Scham vor den Augen aller zu kneten. Die Frau kicherte schrill, unternahm aber keinerlei Anstalten, ihm Einhalt zu gebieten.
Marie warf Robert einen entsetzten Blick zu. Sie konnte kaum glauben, was sie da sah. Automatisch wanderte ihr Blick zu den Priestern am unteren Ende der Tafel weiter, doch die waren viel zu sehr mit ihrem Mahl beschäftigt, als dass sie auch nur einmal aufgesehen hätten. Überhaupt schien keiner der Gäste in irgendeiner Weise über das unglaubliche Verhalten ihres Gastgebers empört oder betroffen zu sein.
Allein der Hofmarschall beugte sich zu seinem Fürsten hinunter und flüsterte ihm etwas zu. Doch Enguerrand winkte unwirsch ab.
„Ihr seht doch, dass ich beschäftigt bin“, brüllte er unbeherrscht.
Augenblicklich verstummten die Gespräche neben ihm, und aller Augen richteten sich auf den Herrn von Coucy, dessen Gesicht wutverzerrt war.
„Lasst die Musiker spielen und wagt es ja nicht, mich noch einmal zu stören.“
Der Hofmarschall wurde blass und trat einen Schritt zurück. Er kannte seinen Herrn zur Genüge und wusste, dass dieser kurz davorstand, seine Beherrschung zu verlieren, und er sollte recht behalten. Wütend fegte Enguerrand mit seinem rechten Arm einige Weinbecher vom Tisch. Danach griff er nach einem halb vollen Krug und warf ihn nach dem Hofmarschall, dem es gerade noch rechtzeitig gelang, dem Geschoss auszuweichen.
Die weichen Klänge einer Laute ertönten, doch Enguerrand nahm sie nicht einmal wahr. Lauernd fixierte er seine beiden Gefangenen, die der eigentliche Grund für seine Wut waren.
„Ihr behauptet also, der Sohn des Grafen de Forez zu sein?“, fragte er grimmig.
Robert nickte und trat einen Schritt vor.
„Wenn Ihr erlaubt, werde ich Euch alles erklären“, begann er höflich.
„Falls Ihr der seid, der Ihr behauptet zu sein, wie kommt es dann, dass mein Jagdaufseher Euch beim Verzehren meiner Fische erwischt hat wie einen gemeinen Dieb?“ Enguerrands Stimme triefte vor Hohn.
„Ich werde Euch den Fisch bezahlen“, antwortete ihm Robert ruhig.
„Wie recht Ihr habt.“ Enguerrands Stimme klang jetzt gefährlich leise. Beifall heischend blickte er in die Runde. Die Frau neben ihm warf ihm einen bewundernden Blick zu.
„Ihr werdet bezahlen, und zwar mehr, als Euch lieb ist. Ich werde Euch zeigen, was es heißt, mich zu bestehlen.“ Seine Stimme schwoll an. „Niemand vergreift sich ungestraft an meinem Eigentum, nicht einmal der König. Ich bin weder Prinz noch Fürst, nicht Herzog und auch nicht Graf, ich bin der Herr von Coucy, und jetzt schafft mir die Gefangenen aus den Augen“, brüllte er erneut, von seinem Zorn übermannt.
Robert und Marie wurden zurück in ihre Zelle gebracht. Noch immer völlig sprachlos lehnte sich Robert mit dem Rücken an die Mauer und ging dann in die Hocke, wo er mit gesenktem Kopf sitzen blieb. Er fühlte sich entsetzlich, und nicht einmal Marie gelang es, ihn zu beruhigen.
Am nächsten Morgen brachte ihnen der Wächter einen Krug Wasser und ein Stück Brot, das er beides wortlos auf den Boden stellte. Marie und Robert blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Die Ungewissheit darüber, was weiter mit ihnen geschehen würde, zehrte an Roberts Nerven.
Gegen Mittag wurden sie endlich aus der Zelle geführt, danach aber sofort voneinander getrennt. Während einer der Wachmänner Robert zu den Ställen führte, wo er ihn dem Stallmeister übergab, wurde Marie in die Küche gebracht.
Der Stallmeister betrachtete Robert prüfend. Er war ein besonnener Mann mittleren Alters, dem man so leicht nichts vormachen konnte.
„Ihr
Weitere Kostenlose Bücher