Die Bluterbin (German Edition)
sie nicht zu schwer zu arbeiten hatte. Obwohl er niemandem von dem wundersamen Verschwinden seines Magenleidens erzählt hatte, wurde Marie von nun an insgeheim von ihm, aber auch von allen Mägden und Knechten beobachtet.
Tunlichst vermied man es jedoch, ihr ins Gesicht zu sehen, da man nicht wissen konnte, welche Dämonen sich in ihrem Körper herumtrieben.
In den folgenden Wochen wurde Marie noch mehrmals von den unheimlichen Krämpfen heimgesucht.
Das erste Mal geschah es, als Adiva, eine der Mägde, die nach einigen Schäferstündchen mit einem der Ritter schwanger geworden war, eine Fehlgeburt erlitt.
Sie blutete so stark, dass niemand der Anwesenden ihr eine Überlebenschance einräumte. Nachdem Marie jedoch an ihr Lager getreten war und sich über sie gebeugt hatte, hörte die Blutung genauso plötzlich auf, wie sie gekommen war.
Einige Tage später hackte sich einer der Köche beim Zerteilen eines Ochsens in die Hand, und einer der Küchenjungen verbrühte sich beim Umfüllen des kochend heißen Gerstenbreis den Arm so heftig, dass seine Haut Blasen warf.
Marie sah ihn nur mitleidig an, danach waren die Blasen auf der Haut des Küchenjungens ebenso verschwunden wie die Wunde auf der Hand des Kochs zuvor.
Adiva wich ihr während der Arbeit nicht mehr von der Seite. Sie war hellhäutig und blond und überragte Marie um Haupteslänge. Und sie war die Einzige, die keine Scheu davor hatte, Marie direkt anzusehen.
„Kannst du auch einen anderen Zauber wirken, einen Liebeszauber vielleicht?“, wollte sie eines Tages wissen und sah Marie dabei bittend an. Worauf Marie lächelnd den Kopf schüttelte und Adiva enttäuscht zurückließ. Trotz allem, was der Ritter ihr angetan hatte, war sie immer noch in ihn verliebt, sogar jetzt noch, nachdem doch offensichtlich geworden war, dass er nichts anderes im Sinn hatte, als seine Bedürfnisse bei ihr zu befriedigen. Schöne, sehnsuchtsvolle Worte, wie die Minnesänger sie der Frau ihres Herzens vorsangen, bekam Adiva jedenfalls nicht von ihm zu hören.
29
Die Gerüchte über Maries wundersame Heilkräfte drangen schon bald aus den Burgküchen hinaus, und das Gesinde begegnete ihr mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Scheu. Es dauerte nicht lange, bis auch Enguerrand davon erfuhr. Bislang hatte er eigentlich vorgehabt, ein hohes Lösegeld von Roberts Familie zu erpressen. Nun aber wollte er zunächst herausbekommen, was es mit diesen Gerüchten auf sich hatte.
Aus diesem Grund schickte er eines Tages seine Leibwache in die Küche und ließ Marie zu sich bringen. Gilles war außer sich.
„Das habt ihr nun von eurem nichtsnutzigen Geschwätz“, brüllte er die verdutzten Mägde und Knechte an. Dabei raufte er sich die wenigen Haare, die er noch hatte, und lief aufgeregt in der Küche auf und ab.
Währenddessen brachten die Wachen Marie durch einen in die Mauer eingelassenen Torbogen, der sie direkt auf den wuchtigen Wohnturm zuführte. Vor dem Eingang standen zwei Posten, die den Wachen zunickten und Marie widerstandslos passieren und in den Audienzsaal eintreten ließen. Dessen Boden war vollständig mit Binsenmatten bedeckt und die Wände mit kostbaren Gobelins verziert. Die in die Mauer eingelassenen Fenstersitze waren so hoch, als wären sie für ein Geschlecht von Riesen angelegt worden.
Etwa zwanzig Leute hielten sich in dem Saal auf, ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Rittern, Priestern und Schreibern.
Unter ihnen befand sich auch der Hofastrologe, der gerade eine angeregte Unterhaltung mit dem Sekretär zu führen schien. Ein kräftiges Feuer brannte in dem riesigen Kamin und verbreitete gemeinsam mit den unzähligen Wachskerzen ein helles Licht im Raum.
Enguerrand saß umringt von seinen Jagdhunden in einem großen, mit Fellen bedeckten Lehnstuhl, der mit kostbaren Schnitzereien verziert war. Er trug einen überaus reich verzierten Hermelinmantel, der selbst einem König zur Ehre gereicht hätte, und seine Füße steckten in hohen, ledernen Gamaschen.
Trotz seines aufgedunsenen Gesichtes war Enguerrand noch immer ein gut aussehender Mann von wohlgefälliger Gestalt, dem man allerdings deutlich ansah, dass er den weltlichen Genüssen weit öfter zugetan war, als es seiner Gesundheit guttat. Seine Augen waren intelligent und kalt zugleich, und um seinen Mund lag ein grausamer Zug.
Sein schwelender Hass, der sich je nach Laune gegen alles und jeden richten konnte, verstärkte sich zudem mit jedem Jahr, das verging, ohne dass er Vater geworden
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