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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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war er nicht selbst darauf gekommen? Er warf dem Astrologen einen zufriedenen Blick zu.
    „Worauf wartet ihr noch?“, schnauzte er seine Diener an, die nicht weit von ihm entfernt standen, bereit, seine Befehle entgegenzunehmen.
    „Schafft mir sofort einen Kranken her.“
    Eilig verließen zwei der Diener den Raum und kehrten wenig später mit dem Hofnarren zurück, den einer der Ritter am Tage zuvor im Vollrausch die Treppe hinuntergestoßen hatte und der sich bei diesem Sturz einen Arm und mehrere Rippen gebrochen hatte.
    Er bot einen jämmerlichen Anblick. Nur mit einem Hemd bekleidet, erinnerte nichts mehr an den fröhlichen jungen Mann, der seinen Herrn und dessen Gäste sonst mit allerlei Späßen und geschickt vorgetäuschten Missgeschicken zu unterhalten wusste.
    Seine blonden Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, das von einer ungesunden Farbe und von einem dünnen Schweißfilm überzogen war.
    Die Schmerzen, unter denen er litt, waren ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben, und bei jedem Atemzug, den er tat, hatte er das Gefühl, als würde man ihm die Spitze eines Dolches in die Lunge stoßen. Mit äußerster Vorsicht sog er daher gerade einmal so viel Luft durch die Nase, wie er brauchte, um nicht zu ersticken.
    Die Knechte, die ihren Herrn nicht verärgern wollten, indem sie ihn zu lange warten ließen, waren zudem nicht eben zimperlich mit ihm umgegangen. Ungerührt hatten sie ihn von seinem Lager gezerrt und in den Saal geschleppt.
    Marie schauderte, als sie dem Schwerverletzten gegenüberstand, und sie brachte es nicht über sich, ihn seinem Schicksal zu überlassen, obwohl ihr Verstand ihr riet, genau dies zu tun.
    Denn sie wusste genau, dass Enguerrand sie niemals gehen lassen würde, sobald er glaubte, mit ihrer Hilfe seine Macht vergrößern zu können.
    Der Hofnarr schlotterte vor lauter Angst. Er wusste noch immer nicht, was hier gespielt wurde, und niemand hatte es bislang für nötig gehalten, ihm mitzuteilen, warum man ihn in die Gemächer seines Herrn geschleppt hatte. Er musste etwas sehr Schlimmes getan haben.
    Maries dunkle Augen schimmerten tiefgründig, und ohne ein Wort zu sagen oder irgendetwas zu tun, sah sie dem Narren direkt in die Augen. Wohltuende Wärme stieg in ihm auf und lief durch seinen mageren Körper. Seine Schmerzen verschwanden, und ihm war, als wären sie nie vorhanden gewesen.
    Der Himmel hatte sich einen Moment lang für ihn geöffnet und einen Teil seiner Herrlichkeit preisgegeben. Er wünschte sich, dass dieser Traum nie zu Ende gehen würde. Es war das Schönste, was er jemals in seinem trostlosen Leben erlebt hatte. Oder war er vielleicht schon gestorben? Verwirrt strich er sich mit der Hand über die Stirn. Das wunderschöne Mädchen vor ihm musste ein Engel sein.
    Doch während er noch immer ganz benommen in unerhoffter Glückseligkeit schwelgte, verwandelte sich das Engelsgesicht vor ihm in eine abstoßende Grimasse.
    Der Hofnarr zuckte erschrocken zusammen und schnappte vorsichtig nach Luft. Aber nichts geschah, und er atmete etwas tiefer ein, verspürte jedoch noch immer keinen Schmerz.
    Vor ihm sank das engelsgleiche Mädchen in sich zusammen. Ihr schmaler Körper wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt. Der Hofnarr schlug ein Kreuzzeichen, als ihm auffiel, dass er seinen rechten Arm wieder bewegen konnte.
    Ungläubig und verwirrt wandte er seinen Blick von Marie und starrte in die weit aufgerissenen Augen Enguerrands, hinter dessen Stirn es fieberhaft zu arbeiten begann.
    Einige der Umstehenden bekreuzigten sich ebenfalls. Niemand von ihnen konnte seinen Blick von Marie wenden. Ein Wunder war vor ihren Augen geschehen, ein Wunder, an dem sie leibhaftig teilgenommen hatten.
    Enguerrand hatte sich als Erster wieder gefasst. Er ließ den Medicus zu sich bringen. „Du bist ab sofort für die Gesundheit dieses Mädchens verantwortlich. Wenn ihr etwas geschieht, dann gnade dir Gott, und jetzt schafft sie mir aus den Augen!“, befahl er kalt.
    Am nächsten Morgen erschien Marie wieder in der Küche, und Gilles wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen. Eigenhändig brachte er ihr eine Suppe mit Hühnerfleisch und einen Becher guten Weines. Marie hatte dunkle Ringe unter den Augen und wirkte erschöpft.
    „Iss das, und danach wirst du dich ausruhen, bis du wieder zu Kräften gekommen bist“, bot er ihr freundlich, aber bestimmt an.
    Marie hatte gerade aufgegessen, als der Medicus in die Küche gestürmt kam. Als er sah, dass Marie wohlauf war,

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