Die Bluterbin (German Edition)
seufzte er vor Erleichterung.
„Ich bin dem Herrn von Coucy gegenüber für die Gesundheit dieses Mädchens verantwortlich“, jammerte er, an den Küchenchef gewandt, „und Ihr wisst ja, was das bedeutet.“
„Vielleicht solltest du dich besser um deine eigene Gesundheit kümmern und etwas weniger saufen“, beschied ihm Gilles ungerührt. „Das Mädchen steht unter meinem persönlichen Schutz, hier wird ihr nichts geschehen, dafür trage ich schon Sorge.“
Worauf sich der Medicus fühlte, als sei eine schwere Last von seinen Schultern genommen worden, denn er merkte, wie bitterernst es Gilles mit seinen Worten war.
Marie, die die kleine Szene beobachtet hatte, stand nunmehr auf und ging zu einem der Tische hinüber, an dem die anderen Mägde schon fleißig an der Arbeit waren, doch Gilles hielt sie zurück.
„Für heute gebe ich dir frei. Ruh dich aus oder geh in die Kapelle und bete für uns.“
Maries Augen begannen vor Freude zu glänzen.
„Darf ich wirklich in die Kapelle gehen?“ Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
„Jeder darf die Kapelle aufsuchen, wenn er möchte. Es interessiert unseren Herrn nicht, ihn wirst du dort jedenfalls nicht antreffen, er hat andere Dinge im Kopf, als zum Allmächtigen zu beten.“
Mit klopfendem Herzen begab sich Marie sofort in die Kapelle. Wie alles an und in der Burg von Coucy war auch diese von beeindruckender Größe und reich geschmückt mit Malereien und Schnitzwerk, mit prachtvollen Gewölben und goldenen Verzierungen. Ihr Prunkstück waren aber die Glasmalereien der Fenster, die so märchenhaft schön waren, dass sie jeden Besucher sofort in ihren Bann zogen.
Der vertraute Geruch von Weihrauch und Wachskerzen schlug Marie entgegen, als sie sich staunend ob all der Pracht genauer umsah.
Sie kniete vor der Heiligen Jungfrau nieder und begann zu beten.
Als sie fertig war, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf.
So vieles war geschehen, seitdem sie mit Robert aus Bourges geflohen war.
Ob sie ihre Familie und Elsa wohl jemals wiedersehen würde? Sie hatte die Tage nicht gezählt, die seit ihrem überstürzten Aufbruch vergangen waren, doch der Sommer hatte gerade begonnen, als sie aufgebrochen waren, und jetzt kündigte sich bereits der Herbst an.
Immerhin hatte ihre Flucht sie davor bewahrt, Renaud Chandos heiraten zu müssen, obwohl es durchaus sein konnte, dass er noch immer auf ihre Rückkehr und die Einlösung des gegebenen Eheversprechens wartete.
Marie dachte an Robert, und ihr Gesicht wurde weich. Er war so anders als die meisten Männer, so zärtlich und so liebevoll. Er hatte nicht nur sein Studium aufgegeben, um sie zu retten, sondern auch seine Verlobte. Anstatt mit dieser auf der Burg seines Vaters zu leben, arbeitete er nun wie ein gemeiner Knecht in den Stallungen des Herrn von Coucy, ohne dass ihm auch nur einmal ein Wort der Klage über die Lippen gekommen wäre. Plötzlich konnte sie es kaum erwarten, ihn zu sehen.
Sie erhob sich und verließ die Kapelle. Auf dem Weg zu den Stallungen traf sie auf einige Ritter, die ihr anzügliche Bemerkungen hinterherriefen, und Marie beeilte sich, möglichst rasch an ihnen vorbeizukommen.
Robert war gerade damit beschäftigt, ein junges Pferd an den schweren Sattel zu gewöhnen. Leise sprach er auf das Tier ein und tätschelte ihm immer wieder beruhigend den Hals.
Als er Marie entdeckte, ließ er das Pferd einfach stehen und ging ihr dann schnellen Schrittes entgegen.
„Was ist geschehen? Seid Ihr etwa der Küchenarbeit entflohen?“
„Der Küchenmeister hat mir freigegeben. Ich war auch schon in der Kapelle“, erzählte sie stolz, und Robert verschlang sie geradezu mit seinen Blicken, nachdem er sie zwei Tage lang nicht mehr gesehen hatte.
Der Himmel leuchtete in tiefstem Blau, und ein frischer Westwind blies ihnen ins Gesicht. Von hier aus konnten sie über die ganze Stadt hinwegsehen und bis zu den Wäldern von Compiègne.
Sie hätten es schlimmer treffen können, trotzdem waren sie in der Burg gefangen, und der Herr von Coucy war gefährlich und unberechenbar. Wenn ihm außerdem nicht schon bald einfiel, wie sie von hier fliehen könnten, würde der Winter hereinbrechen, und sie müssten bis zum nächsten Frühjahr bleiben.
Aber Marie schien glücklich zu sein und sich nicht die geringsten Sorgen zu machen.
Er ging mit ihr zu dem Pferd zurück, band es fest und legte dann einen Arm um ihre Schulter.
„Ich möchte Euch nicht beunruhigen, doch wir müssen so schnell wie möglich von
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