Die Bluterbin (German Edition)
Schlafgemach nur angelehnt gewesen und er lautlos näher getreten war.
Durch den schmalen Türspalt hatte er das Mädchen gesehen. Sie war jung und ein wenig derb gewesen, und über ihren Rücken hatte sich eine Flut langer brauner Locken ergossen. Aber vor allem war sie vollkommen nackt gewesen, wenn man von dem silbernen Kreuz einmal absah, das noch zwischen ihren vollen Brüsten gehangen hatte.
Mit gespreizten Beinen hatte sie zitternd auf einem Stuhl gesessen und nicht gewagt, sich zu bewegen. Radulfus hatte seinen Kopf in ihrem Schoß vergraben und irgendetwas von der Heiligen Jungfrau gemurmelt. Dann war er wie von Sinnen aufgesprungen und hatte sich auf das Mädchen gestürzt. Nachdem er sie mit brutaler Gewalt genommen hatte, hatte er plötzlich sein Messer gezogen und ihr mit einer blitzschnellen Bewegung die Kehle durchgeschnitten – wie einem Opferlamm.
Das war selbst für Ottos kaltes Gemüt zu viel des Guten gewesen, und er hatte auf dem Absatz kehrtgemacht und fluchtartig den Bischofspalast verlassen.
Radulfus ahnte nicht, dass er beobachtet worden war, und Otto hatte sich am nächsten Morgen nichts anmerken lassen, obwohl ihm das alles andere als leicht gefallen war. Doch solange Radulfus ihn gut bezahlte, scherte er sich nicht weiter um dessen Treiben. Er hatte ganz andere Pläne, die niemand etwas angingen, und schon gar nicht den Bischof. Sobald er diesen Auftrag ausgeführt hätte, würde er sich umgehend an die Umsetzung seines Vorhabens machen.
Am nächsten Morgen wartete Otto vergeblich auf seine Begleiter, deren Pferde jedoch noch friedlich im Stall standen, wie er mit einem Blick erleichtert feststellte.
Er nahm an, dass die drei Trunkenbolde noch dabei waren, ihren Rausch auszuschlafen, doch seine Hoffnung sollte enttäuscht werden, denn in der Schenke war alles dunkel und weit und breit niemand zu sehen.
Auf der Suche nach dem Wirt traf Otto auf den Knecht, den er am Abend zuvor beauftragt hatte, die Pferde zu versorgen. Er wirkte verschlafen.
„Gibt es noch andere Kammern, in denen man übernachten kann?“, fragte ihn Otto, worauf der Knecht den Kopf schüttelte.
„Wir haben nur diese eine Kammer für Gäste, die es nicht mehr bis zur Herberge schaffen.“ Er grinste.
Otto beschlich eine böse Vorahnung.
„Meine Begleiter sind verschwunden, und ich habe es eilig“, sagte er scharf.
Das Grinsen im Gesicht des Knechtes erlosch.
„Ich habe gehört, dass die Wache in der letzten Nacht drei Männer verhaftet hat, die beim Würfeln betrogen haben.“ Er grinste wieder. „Ausgerechnet den Sohn des Stadtvogts haben sie versucht zu betrügen, wo doch jeder weiß, wie wütend der werden kann.“
Der Knecht schlug sich mit der Hand an die Stirn und schüttelte mehrmals verständnislos den Kopf ob solcher Dummheit.
„Als die Wachen sie verhaften wollten, haben sie zudem auch noch ihre Messer gezogen. Ist ihnen gar nicht gut bekommen. Hätte ich gerne gesehen. Wo doch jeder weiß, dass der Herr von Coucy nur die besten Männer in seinen Dienst nimmt.“
Er schwieg und starrte stracks an Otto vorbei. Man konnte ihm sein Bedauern, nicht dabei gewesen zu sein, geradezu ansehen.
Otto verlor langsam die Geduld.
„Was ist dann passiert? Wo haben sie die drei hingebracht?“, schnauzte er den Knecht an. „Jetzt rede endlich, oder muss ich dir wirklich jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen?“
Der Knecht zuckte gleichgültig die Schultern.
„Wahrscheinlich haben sie sie in den Kerker geworfen. Woher soll ich das denn wissen?“
Wütend schnäuzte sich Otto in die Hand. Der Tag fing ja gut an.
„Würdet Ihr dann wenigstens die Freundlichkeit besitzen, mir mitzuteilen, wo sich der Kerker befindet?“ Seine Stimme triefte vor Hohn, und der Knecht sah ihn misstrauisch an. War der Kerl mit den strohgelben Haaren vor ihm etwa dabei, den Verstand zu verlieren? Wieso redete er plötzlich mit ihm wie mit einem hohen Herrn?
Die ganze Geschichte wurde ihm langsam zu kompliziert, und er kam zu dem Schluss, dass es besser für ihn wäre, sich nicht länger damit aufzuhalten.
Er wies die Gasse hinunter.
„Der Kerker befindet sich im Rathaus, in der Nähe der Kirche. Ihr könnt ihn nicht verfehlen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um, überquerte eilig den Hof und verschwand in den Ställen.
Fluchend machte sich Otto auf den Weg zum Rathaus. Dabei überlegte er sich kurz, ob er die drei Schurken nicht einfach ihrem Schicksal überlassen sollte. Verdient hätten sie es. Aber er hatte
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