Die Bluterbin (German Edition)
in die Frauengemächer verbannt, weil sie ihm keinen Sohn gebären konnte. Nicht einmal an der öffentlichen Tafel darf sie ihren Platz noch einnehmen. Ihr solltet die Zeit nutzen, da Eure Haut noch frisch und Eure Brüste prall sind, um jemanden zu finden, der Euch dabei hilft, von hier fortzukommen.“
Marie sah sie erschrocken an. Über solche Dinge hatte sie sich bisher noch keine Gedanken gemacht.
„Aber Ihr seid wunderschön“, meinte sie schließlich, und es klang so ehrlich, dass ihr die Frau einen dankbaren Blick zuwarf.
„Erzählt mir, wie Ihr in Enguerrands unersättliche Klauen geraten seid“, forderte sie Marie auf.
„Sein Jagdaufseher hat uns gefangen genommen, weil wir Fische aus seinem Fluss verzehrt haben. Wir waren auf dem Weg nach Flandern, wo wir zu Verwandten von Robert wollten.“
Die Frau sah sie mitleidig an.
„In diesem Fall werdet Ihr wohl überhaupt nie mehr von hier fortkommen. Es sei denn, jemand zahlt ein hohes Lösegeld für Euch, doch selbst dann kann es passieren, dass er Euch nicht gehen lässt. Versucht, das Beste daraus zu machen, und vergesst nie, dass Eure Schönheit Euer größter Trumpf ist. Ihr solltet sie nicht an jemanden verschwenden, der Eurer nicht wert ist.“
Sie trank ihren Becher leer und wandte sich dann mit einem aufreizenden Lächeln an den auf ihrer anderen Seite sitzenden Edelmann, einen noch jugendlichen Mann, der sie immer wieder bewundernd ansah.
Währenddessen gingen die Diener umher, füllten ständig Wein in die Becher nach und brachten eine Silberplatte nach der anderen, bis sich die langen Tischplatten unter all den Köstlichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes zu biegen begannen. Die Gäste am Tisch unterhielten sich fröhlich und lautstark miteinander und aßen und tranken dabei, als würde es nichts Wichtigeres auf der Welt geben.
Marie war froh darüber, dass Enguerrand sie kaum beachtete. Nur einmal trafen sich ihre Blicke, aber Enguerrand sah sofort wieder weg. Sein Gesicht war vom Wein gerötet, den er gemeinsam mit seinen Rittern wie ein Verdurstender in sich hineinkippte.
Er trinkt, um sich zu betäuben, dachte Marie und wusste, dass sie recht mit ihrer Vermutung hatte. Er will irgendetwas vergessen, etwas, das ihn schon seit Langem quält. Ob er vielleicht aus diesem Grund so grausam ist?
Sie dachte daran, wie er, ohne zu zögern, den Spion des Bischofs am nächsten Baum hatte aufhängen lassen, und ihre Lippen pressten sich zornig zusammen.
Der Herr von Coucy besaß alle Macht der Welt und betrank sich wie ein Mann, der alles verloren hatte. Von einem Moment auf den anderen war ihre Angst vor ihm wie fortgeblasen.
Unter dem Tisch nahm sie Roberts Hand und drückte sie zärtlich.
Robert hatte die ganze Zeit über ohne großes Interesse dem wechselseitigen Geprahle Enguerrands und seiner Ritter zugehört. Ihre Geschichten interessierten ihn nicht sonderlich, aber er hatte sie verfolgt, weil er darauf hoffte, eine passende Gelegenheit zu finden, um Enguerrand danach zu fragen, wie lange er noch vorhatte, sie auf seiner Burg gefangen zu halten. Doch der Herr von Coucy beachtete ihn nicht, sondern hatte nur Augen für die beiden Ritter.
Als Marie nun seine Hand nahm, sah er sie verliebt an. „Ich glaube, ich werde von nun an noch besser auf Euch achten müssen. Die Kerle hier am Tisch verschlingen Euch ja geradezu allesamt mit ihren Augen. Ihr solltet darauf achten, ihnen nicht allein zu begegnen“, sagte er nach einem prüfenden Blick in die Runde.
Robert unterdrückte ein Gähnen. Seit zwei Tagen hatte er kaum geschlafen, jetzt forderte sein Körper den Tribut dafür, und eine bleierne Müdigkeit machte sich in seinen Gliedern breit und lähmte sie zunehmend.
Er hob seinen Becher und ließ ihn von einem herbeieilenden Diener füllen. Vielleicht würde ihm der Wein helfen, wach zu bleiben.
Mit der Zeit wurden die Gespräche lauter und die Witze derber. Darüber hinaus schien es im Haus des Herrn von Coucy nicht üblich zu sein, seine Zunge mit Rücksicht auf die anwesenden Damen zu zügeln.
Der Wein war stark und berauschend, und Robert musste einsehen, dass er an diesem Abend nichts mehr erreichen würde. Enguerrand war mittlerweile viel zu betrunken, um noch vernünftig mit ihm reden zu können, trotzdem glaubte er, beschwingt vom Wein, früher oder später sein Ziel zu erreichen. Der Anfang war jedenfalls gemacht: Enguerrand hatte ihn mit sich reiten lassen, um Marie zu befreien. Und das bewies, dass Enguerrand doch
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