Die Bluterbin (German Edition)
nicht so grausam war, wie alle glaubten, und Robert nahm sich deshalb fest vor, so bald wie möglich mit ihm zu sprechen.
Neben ihm saß das Mädchen, das er liebte, und er konnte es kaum noch erwarten, sie als seine Braut heimzuführen.
Enguerrands Kopf sackte nach vorne auf die Tischplatte. Er war eingeschlafen, was allerdings niemanden seiner Gäste zu stören schien.
Robert sah Marie an.
„Lasst uns gehen“, flüsterte er ihr zu und stand auf.
Niemand machte Anstalten, sie aufzuhalten, und so verließen sie rasch den Saal. Die Luft vor dem Wohnturm war kalt und roch nach Winter.
Marie fröstelte, und Robert legte seinen Arm um sie und schlug seinen Umhang um sie herum.
„Kommt heute Nacht mit mir zu den Ställen“, bat er sie, denn er wollte sich jetzt noch nicht von Marie trennen. Außerdem waren sie schon eine ganze Weile nicht mehr allein und unbeobachtet gewesen. Und so liefen sie Arm in Arm hinüber zu den Ställen und legten sich ins Stroh.
Robert zog Marie enger an sich und küsste sie. Glücklich ließ Marie sich von dem Sturm der Gefühle, der über sie hereinbrach, mitreißen.
Roberts Küsse wurden leidenschaftlicher, und Marie spürte, wie ihr Körper auf den seinen reagierte. Sie drängte sich noch enger an ihn heran und erwiderte seine Küsse immer feuriger. Sie wünschte sich, dass dieser Moment nie vorübergehen würde. Es war, als ob sie ein Stück vom Himmel erblicken würde, und es schien ihr nur natürlich, seine zunehmend forscher werdenden Berührungen zu erwidern.
Plötzlich hielt Robert inne und umfasste ihr Gesicht so zärtlich, dass Marie das Gefühl hatte, in seinen Händen zu schmelzen. Sie bot ihm erneut ihre Lippen, doch er erwiderte ihren Kuss nicht mehr.
„Es tut mir leid, aber ich kann das nicht tun. Ich bringe es einfach nicht fertig, mir das zu nehmen, was mir erst nach der Hochzeit zusteht, auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünsche, als Euch zu meiner Frau zu machen“, seine Stimme klang atemlos.
„Aber es ist nichts Böses, was wir tun“, widersprach ihm Marie, „es ist so schön, dass ich mir wünsche, Ihr würdet niemals damit aufhören, mich zu küssen und in Euren Armen zu halten.“ Sie barg ihren Kopf an seiner Schulter. „Bitte haltet mich fest und versprecht mir, mich nie wieder loszulassen.“
Robert wiegte sie in seinen Armen wie ein kleines Kind. Er spürte, dass die Schrecken anlässlich Ottos Tod noch in ihr nachwirkten, obwohl dieser ohne jedes Mitleid mit ihr vorgehabt hatte, sie gleich einem Opferlamm in die Höhle des Bischofs zu schleppen.
Robert war froh, die Situation vor wenigen Minuten nicht ausgenutzt zu haben.
Es wäre falsch gewesen, das Vertrauen, das Marie in ihn setzte, auf diese Weise zu missbrauchen.
Zudem musste er an die Worte ihrer alten Magd denken, während er ihr immer wieder zärtlich über das seidige Haar streichelte.
Vorausgesetzt Elsa hatte Recht, dann würden die schrecklichen Krämpfe zusammen mit den geheimnisvollen Heilkräften sofort verschwinden, sobald Marie keine Jungfrau mehr wäre. Danach wäre sie für den Herrn von Coucy nicht mehr von Nutzen, und vielleicht würde er sie dann ziehen lassen.
Oder aber, er würde wütend werden und sich in seinem Zorn zu etwas Unüberlegtem hinreißen lassen. Konnte Robert dieses Risiko eingehen?
Wenn überhaupt, musste er ruhig und überlegt handeln, wollte er ihr Leben nicht in Gefahr bringen.
Maries Körper war weich an den seinen geschmiegt. Sie war eingeschlafen. Er umschlang sie so fest und so eng, wie es nur möglich war. Kurze Zeit später fielen auch ihm, begleitet von dem Rascheln der Mäuse und dem leisen Stampfen der Pferde, die Augen zu.
34
Robert erwachte von dem unruhigen Schnauben der Pferde, die auf ihr Futter warteten. Der Stallmeister kam herein und sah sich suchend nach ihm um, denn normalerweise gehörte Robert stets zu den Ersten, die sich frühmorgens an die Arbeit begaben.
Als er die beiden jungen Leute nun eng umschlungen im Stroh entdeckte, zwinkerte er Robert freundlich zu. Er mochte den jungen Grafen, der überhaupt nicht hochnäsig war, und schätzte dessen Arbeit. Es gab niemanden auf der Burg, der mehr von Pferden verstand als er.
Selbst der wildeste Hengst fraß ihm nach wenigen Tagen aus der Hand und führte willig jeden seiner Befehle aus.
„Jetzt aber rasch an die Arbeit“, meinte er mit gespielter Strenge.
Robert überlegte kurz und schätzte die Situation ab.
„Es ist nicht so, wie Ihr vielleicht denkt“, sagte er
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