Die Bluterbin (German Edition)
gut es seine alten Augen noch zuließen. Er war hager und grau, und immer öfter verschwammen ihm die Buchstaben vor den Augen, weshalb es ihm nur noch bei hellem Tageslicht gelang, sie einigermaßen zu erkennen. Trotzdem war er Robert eine wertvolle Hilfe, da er viele Zahlen aus den vorangegangenen Jahren im Kopf hatte und zudem die meisten Namen der Leibeigenen und Pächter kannte.
Die Liste wuchs und wuchs, und sie kamen gut voran, als plötzlich ein Diener hereinkam und ihnen völlig unerwartet den Dominikanermönch Albertus meldete, der den Herrn de Forez dringend zu sprechen wünschte.
Robert sah überrascht von seiner Pergamentrolle auf.
„Führt ihn in den Saal und bringt ihm Wein“, befahl er dem Diener.
Dann legte er seine Feder zur Seite und warf Bruno einen kurzen Blick zu.
„Wir machen später weiter“, kündigte er dem Verwalter an und verließ nachdenklich den kleinen Schreibraum, der auch als Empfangsraum für die Bauern und Lieferanten diente. Was konnte der Dominikanermönch nur von ihm wollen, fragte er sich, während er langsam die Stufen zum Wohnturm hinaufstieg.
Als er in den Empfangsraum trat, grüßte ihn Albertus höflich, und seine blauen Augen strahlten Robert beinahe freundschaftlich an. Er trug eine schwarz gefärbte Kutte und ein schlichtes Silberkreuz.
„Ich hatte eigentlich erwartet, Euren Vater zu sehen“, begann er.
„Mein Vater ist tot“, gab Robert knapp zur Antwort.
„Dann seid Ihr Robert de Forez, sein Sohn?“, vergewisserte sich Albertus. Robert nickte.
„Das trifft sich gut, denn ich habe den Auftrag, den Mord an Bruder Gregor zu untersuchen.“
Robert erstarrte. Sein Gefühl sagte ihm, dass dieser Dominikanermönch nicht so harmlos war, wie er sich gab. Als sich ihrer beider Blicke kreuzten, sah Albertus jedoch rasch zur Seite, aber Robert war nicht entgangen, dass ihn der Mönch zuvor mit glühenden Augen beobachtet hatte.
Er belauert mich wie ein Jäger sein Opfer, schoss es ihm durch den Kopf, und der Gedanke beunruhigte ihn so sehr, dass er viel zu schnell und ohne zu überlegen antwortete:
„Ich habe Bruder Gregor in der Kapelle gefunden, wo er sterbend auf dem Boden vor dem Altar lag. In seinem Rücken steckte ein Dolch.“ Albertus ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken und schoss seine nächsten Fragen wie Pfeile ab.
„Was habt Ihr eigentlich in der Kapelle zu suchen gehabt? Es hieß, dass sie nur noch selten benutzt wird.“
„Bruder Gregor wollte mich sprechen und hatte mich in die Kapelle bestellt. Leider habe ich nicht mehr erfahren, was er mir zu sagen hatte“, erwiderte Robert. „Er liebte die Stille, die in der alten Kapelle vorherrschte, um ungestört beten zu können.“
Dieser Mönch ist wie ein Aal im Fluss, dachte er und wusste plötzlich, was es war, das ihn an dem Dominikanermönch störte. Albertus strahlte die gleiche Kühle aus, wie sie von der Haut von Fischen ausging, nachdem man sie aus dem Wasser gezogen hatte, und er war gefährlich.
Robert war nunmehr klar, dass Albertus im Auftrag von Radulfus auf die Burg gekommen war und er von nun an äußerst vorsichtig sein musste.
„Zwei Brüder haben gesehen, dass Ihr aus der Kapelle gerannt seid, als ob der Leibhaftige hinter Euch her wäre. Warum diese Eile, wenn Ihr nichts zu verbergen hattet?“ Seine Stimme klang sanft wie die einer Mutter, die ihr Kind in den Schlaf wiegt.
„Was hättet Ihr denn an meiner Stelle getan, wenn Ihr Bruder Gregor ermordet und in seinem Blut liegend vor dem Altar gefunden hättet? Außerdem konnte ich nicht wissen, ob sich der Mörder vielleicht noch in der Nähe aufhält. Vor einem Menschen, der einen solchen Frevel begeht, muss man sich in Acht nehmen.“ Plötzlich wurde Robert bewusst, dass er sich verteidigt hatte, obwohl er unschuldig war und mit dem Mord nicht das Geringste zu tun hatte. Doch es war zu spät, und die Worte waren bereits aus ihm herausgeströmt wie Wasser aus einer Quelle.
Albertus hielt es demzufolge auch nicht für nötig, näher auf Roberts Antwort einzugehen.
Etwas unerträglich Vorwurfsvolles lag in seinem Blick, als er fortfuhr:
„Anstatt den Mord zu melden, wie es Eure Pflicht gewesen wäre, seid Ihr mit dem Mädchen geflohen.“ Es klang so endgültig, so fest, als ob er sein Urteil schon längst gefällt hätte.
„Befindet sich Marie Machaut hier auf der Burg? Wenn ja, würde ich gerne mit ihr sprechen, um zu hören, was sie zu dieser Angelegenheit zu sagen hat.“ Ein lauernder Ausdruck war in seine
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