Die Bluterbin (German Edition)
zur Krankenstube hinüberlief und durch die Tür trat.
Als er die Stallungen wieder verließ, begegnete er dem Prior, der ihn mit unverhohlenem Interesse betrachtete.
„Ihr habt das Hochamt versäumt“, sagte er vorwurfsvoll, und Robert fasste augenblicklich eine tiefe Abneigung gegen den hageren Mann mit den schmalen Augen und der langen Nase.
„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich deshalb knapp und ging dann weiter.
Der Prior starrte ihm finster nach. Der junge Graf schien dem Abt aus irgendeinem Grund äußerst wichtig zu sein, und er hätte nur zu gerne gewusst, warum.
Robert hatte den gesamten Nachmittag mit Nachdenken verbracht. Ohne seine Umgebung wahrzunehmen, war er ziellos durch das Klostergelände gewandert und hatte dabei weder auf die Blicke, die ihm gefolgt waren, noch auf den andauernden Nieselregen geachtet. Seine Gedanken drehten sich nur noch um Marie. Wenn die Vermutungen des Abtes richtig waren, befand sich Marie in höchster Gefahr, und das, obwohl niemand außer dem Abt und ihm ihr Geheimnis kannte.
Der Wunsch, sie zu sehen, wurde übermächtig, und er musste noch heute versuchen, mit Bernard zu reden. Es war ihm unmöglich, noch länger zu warten, und so beschloss er, schon am nächsten Morgen allein weiterzureiten. Bernard könnte nachkommen, sobald es ihm wieder besser ginge.
Es dauerte eine Weile, bis das anhaltende Läuten der Glocke zu ihm durchdrang, und er beeilte sich, rechtzeitig in die Kapelle zu kommen.
Nach der Vesper begleitete ihn ein Diener des Abtes in dessen Gemächer, wo ihn Abt Simon bereits erwartete.
Neben ihm saßen der Prior, der Robert mürrisch entgegenschaute, und Bruder Viktor, der Provinzenmeister, dem die Aufsicht über die neu eintretenden Klosterbrüder oblag.
Abt Simon machte die drei Männer miteinander bekannt.
„Der Graf de Forez wird einige Tage unser Gast sein und so lange bleiben, bis sich sein Freund erholt hat“, erklärte er.
„Gäste, die länger als einen Tag bleiben, bringen nur Unruhe in das Kloster und untergraben die Disziplin unserer Brüder“, knurrte der Prior unfreundlich. „Euer Gast hat nicht einmal am Hochamt teilgenommen, was unseren Novizen nicht entgangen sein dürfte.“
„Robert de Forez ist mein Gast“, rügte der Abt scharf und musterte den Prior dabei finster.
Es war unübersehbar, dass zwischen den beiden Männern kein Einvernehmen herrschte.
„Ich habe noch etwas mit dem Grafen zu besprechen und wäre Euch daher dankbar, wenn Ihr uns nun allein lassen würdet.“
Der Prior, den die Abfuhr sichtlich verdross, verneigte sich missmutig, bevor er den Raum verließ und die Türe mit lautem Knall hinter sich zuzog.
„Gott möge mir vergeben, aber dieser Mann ist eine wahre Prüfung für mich. Wie oft habe ich wegen meiner unfreundlichen Gedanken über ihn schon gebetet und gefastet, auch wünsche ich ihm nichts Böses, aber es ist tatsächlich nicht immer einfach mit ihm.“ Er winkte seinem Diener, das Essen aufzutragen, bevor er fortfuhr:
„Und der Gedanke, dass dieser von Ehrgeiz und Neid zerfressene Prior eines Tages mein Nachfolger werden soll, ist nur schwer für mich zu ertragen. Im Interesse des Klosters kann ich nur jeden Tag darum beten, dass der Herr dies nicht zulassen wird.“
Im Stillen konnte Robert dem Abt nur recht geben, doch er sagte nichts.
Als das Essen aufgetragen wurde, merkte er erst, wie hungrig er war. Er hatte den ganzen Tag über noch nichts gegessen und aß nun mit großem Appetit.
„Ich habe mich entschieden, Eure Gastfreundschaft nicht länger in Anspruch zu nehmen“, teilte er dem Abt anschließend mit.
Der Abt sah ihn daraufhin etwas irritiert an.
„Euer Entschluss wird hoffentlich nichts mit unserem Prior zu tun haben?“, wollte er wissen. „Ihr dürft nichts auf seine Unfreundlichkeiten geben, er ist nicht nur Euch gegenüber so abweisend.“
Worauf Robert verneinend seinen Kopf schüttelte.
„Nein, das ist es nicht. Doch nach dem, was ich heute erfahren habe, finde ich einfach keine Ruhe mehr. Ich muss sofort zu Marie und habe das Gefühl, schon viel zu lange gewartet zu haben.“
Abt Simon nickte verständnisvoll.
„Ich kann Euren Entschluss verstehen und bin sicher, dass Ihr Euer Versprechen mir gegenüber halten werdet.“
Robert nickte dem Abt beruhigend zu.
„Ich werde es nicht vergessen, und mit Gottes Hilfe werden wir uns schon bald wiedersehen.“
Der Abt betrachtete ihn jedoch weiterhin nachdenklich, er schien noch nicht ganz zufrieden zu
Weitere Kostenlose Bücher