Die Bluterbin (German Edition)
Aufsehenerregendes befand.
Im Schein der Fackel konnte Robert gerade noch erkennen, dass ihre Wände bemalt waren, doch der Abt ließ ihm keine Zeit, die Malereien zu betrachten.
„Wir müssen schnell machen, damit den Brüdern unsere Abwesenheit nicht auffällt“, bemerkte er und trat zu der ihnen gegenüberliegenden Wand, wo er auf einen etwas vorstehenden Stein drückte. Ein knirschendes Geräusch erklang, und die Wand vor ihnen teilte sich in der Mitte, indem sich ihre beiden Flügel lautlos nach innen schoben.
Robert, der einen solchen Mechanismus noch nie zuvor gesehen hatte, verschlug es vor Überraschung den Atem. Doch dies war bei Weitem noch nicht alles, was er zu sehen bekommen sollte.
Als er dem Abt durch die Maueröffnung folgte, blieb er erstaunt stehen. Vor ihnen tat sich ein gewölbeähnlicher Saal in Form einer Kapelle auf, an dessen Wänden sich ringsum Fackeln befanden, die der Abt nun eine nach der anderen entzündete.
In der Mitte des Raumes erhob sich auf einem Podest ein Sarkophag aus weißem Marmor, hinter dem sich auf einem ebenfalls weißen Marmorsockel die Statue einer Frauengestalt mit einem Mädchen an der Hand erhob.
Der Künstler, der dieses Werk geschaffen hatte, hatte sich damit selbst übertroffen, denn die Figurengruppe wirkte so echt, dass Robert für einen kurzen Augenblick lang tatsächlich geglaubt hatte, zwei lebenden weiblichen Personen gegenüberzustehen.
Liebevoll hatte der Bildhauer auch noch die kleinsten Details an ihnen herausgearbeitet, die Falten des bis auf die Knöchel reichenden Gewandes ebenso wie die fein modellierten Gesichter und die zartgliedrigen Hände.
Sprachlos stand Robert vor dem Sarkophag und starrte auf die Figur. Sein Herz klopfte wie wild in seiner Brust, und eine leise Ahnung stieg in ihm hoch. Das Ganze hier musste irgendwie mit Marie zu tun haben, obwohl er sich noch immer nicht vorstellen konnte, wie dies alles mit ihr zusammenhängen sollte.
Abt Simon ließ ihm einen Moment lang Zeit. Erst als sich Robert zu ihm umdrehte und ihn fragend ansah, ergriff er das Wort:
„In diesem Sarkophag liegen die sterblichen Überreste von Maria Magdalena“, erklärte er mit ehrfürchtiger Stimme, und seine Worte hallten in dem hohen Raum und wirkten dadurch besonders eindringlich.
„Nach der Auferstehung Jesu ist sie mit ihrem Bruder Lazarus, ihrer Schwester Martha, deren Dienerin Martilla und Cedonius, der als Blindgeborener vom Herrn geheilt worden war, sowie einigen Christen und dem heiligen Maximinus gemeinsam auf einem Schiff nach Frankreich geflohen, wo sie in aller Zurückgezogenheit ein stilles und gottgefälliges Leben geführt hat.
Nur wenige Eingeweihte wussten Bescheid und haben nach ihrem Tode ihren Leichnam an einem geheimen Ort bestattet.“
Er senkte seine Stimme und fuhr flüsternd fort, als hätte er Angst, dass seine Worte durch die dicken Mauern hindurch an das Ohr unbefugter Personen dringen könnten.
„Es gab allerdings noch eine Person, die sich an Bord des Schiffes befand und deren wahre Herkunft nur wenigen Menschen bekannt war.
Maria, die Tochter Magdalenas, die aus Gründen, die ihr sicher verstehen werdet, der Öffentlichkeit gegenüber als das Kind einer Dienerin ausgegeben wurde.
Nach deren beider Tod waren es Mönche, die durch die Jahrhunderte hindurch über die Nachkommen von Maria Magdalenas Tochter gewacht haben und auf gut gehüteten Pergamenten über deren Leben schrieben, aber auch über die Wunder, die Gott immer wieder um sie herum geschehen ließ.
Dieses unterirdische Gewölbe ist der geheime Ort, an den man die sterblichen Überreste Maria Magdalenas verborgen hat. Er war bereits zur Zeit der Römer für Maria Magdalena errichtet, dann aber in den Wirren der Zeit verschüttet und vergessen worden, bis vor dreihundert Jahren ein Mönch namens Hieronymus in einem Traum vom Herrn den Auftrag erhielt, an dieser Stelle ein Kloster zu errichten, dessen Abt er später wurde.
Er entdeckte das Gewölbe und auch in Leder gebundene Papyrusblätter, Kodizis, die in einem Geheimfach des Sarkophages verborgen lagen.
Und zwar im Sarkophag des ersten Abtes dieses Klosters, der noch zu Maria Magdalenas Zeiten lebte und den ihr im Vorraum gesehen habt.“
Robert lauschte Abt Simon mit großen, vor Erstaunen weit geöffneten Augen. Er war verwirrt und verstand immer noch nicht, was dies alles mit ihm und Marie zu tun haben sollte.
Der Abt lächelte milde, als er fortfuhr:
„Maria Magdalenas Tochter konnte –
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