Die Bluterbin (German Edition)
nicht, warum Gott sie so gestraft hat, aber es geschieht nur hin und wieder, dass sie von diesen schrecklichen Krämpfen befallen wird.“ Er legte eine Pause ein und tat so, als würde er nachdenken, obwohl er sich längst einen Plan zurechtgelegt hatte.
„Vielleicht sollte ich eine größere Summe an die Kathedrale spenden, damit man dort für sie betet?“, schlug er vor, als wäre ihm der Gedanke gerade jetzt erst gekommen.
In Radulfus’ Augen trat ein gieriger Glanz.
„An welche Summe dachtet Ihr denn?“, fragte er sofort zurück.
„Zehn Pfund in Silber“, beschied ihm Jean, ohne auch nur zu zögern.
Der Bischof schien erfreut.
„Ihr seid wahrhaftig ein gottesfürchtiger Mann und ein guter Christ, was man nicht von allen Kaufleuten in dieser Stadt behaupten kann. Trotzdem hat es mich überrascht zu erfahren, dass Ihr ebenfalls ein Mitglied des neuen Schutzbündnisses seid.“
Zum großen Ärger des Bischofs hatten die reichen Kaufleute im letzten Jahr mit den unabhängigen Klerikern und einigen der einflussreichsten Aristokraten der Stadt eine Art Beistandspakt geschlossen. Es handelte sich dabei um ein Schutzbündnis, das als juristische Körperschaft fungierte und den städtischen Frieden wie auch die gegenseitige Verteidigung sichern sollte.
Jean nickte nur, ohne eine Antwort zu geben. Was sollte er dazu auch sagen, wenn der Bischof ohnehin schon Bescheid wusste?
Er stand auf, um das Geld zu holen, doch Radulfus hielt ihn zurück. „Wusstet Ihr eigentlich, dass König Ludwig in der Stadt gewesen ist?“
Jean Machaut sah ihn verblüfft an. Wie kam der Bischof plötzlich auf den König?
„Ich habe gehört, dass sich der König in der Provence in Aigues-Mortes befindet, um den Bau seines neuen Hafens zu überwachen.“
Er wartete einen Moment, ob Radulfus noch etwas sagen würde, aber der Bischof schwieg. Der Tuchhändler schien ehrlich überrascht zu sein, als er König Ludwig erwähnt hatte. Das bedeutete, dass er vom Zusammentreffen des Königs mit seiner Tochter und auch von dem Ring nichts wusste. Das Mädchen hatte also Geheimnisse vor seinen Eltern, das war ganz in Radulfus Sinne und konnte ihm nur recht sein. Umso leichter würde er es mit ihr haben. Er beschloss, sich das Mädchen bei nächster Gelegenheit einmal allein vorzunehmen.
Jean erhob sich von seinem Falthocker.
„Dann werde ich jetzt das Silber holen gehen.“ Er verließ den Raum und kehrte wenig später mit einem großen Lederbeutel zurück, den er neben dem Bischof auf den Boden stellte.
Radulfus stand auf und verbarg den schweren Beutel unter seinem Umhang.
„Wir werden für Eure Tochter beten, und wenn es Gottes Wille ist, wird sie wieder gesund werden“, versprach er und reichte Jean Machaut zum Abschied die Hand. Da fiel ihm noch etwas ein, und er stellte dem Kaufmann noch eine letzte Frage:
„Ist es wahr, was mir mein Sakristan berichtet hat, dass Eure Tochter die Kathedrale fast täglich aufsucht?“
„Ich werde Sorge dafür tragen, dass sie ab sofort im Haus bleibt, damit niemand mehr durch ihren Anblick belästigt wird“, versicherte ihm Jean eifrig.
Radulfus bedachte ihn mit einem strengen Blick.
„Die Kathedrale ist für die Gläubigen erbaut, damit sie darin Trost und Kraft finden. Wenn es Eurer Tochter ein Bedürfnis ist, in der Kathedrale zu beten, ist das ein Zeichen dafür, dass die Dämonen in ihrem Körper noch nicht gesiegt haben. Und es ist Eure Pflicht als Vater, sie in ihrem Glauben zu bestärken.“ Damit war das Gespräch für ihn beendet.
Der Tuchhändler begleitete seine Gäste bis zur Haustüre und schloss sie dann einigermaßen erleichtert wieder hinter ihnen zu. Er konnte nur hoffen, dass sich der Bischof so lange mit dem Silber zufriedengeben würde, bis Marie endlich verheiratet wäre.
Nachdenklich begab er sich zurück in sein Kontor, aber es gelang ihm nicht mehr, sich zu konzentrieren. Immer wieder wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit zurück. In seiner Verzweiflung beschloss er, dem heiligen Veit am kommenden Sonntag zehn Dutzend Wachskerzen zu stiften und ihn anzuflehen, Marie von ihrer unheimlichen Krankheit zu befreien.
Auf seiner Familie musste ein Fluch lasten, dessen Wurzeln weit in die Vergangenheit reichten. Jean konnte nicht länger die Augen davor verschließen, wollte er sich und seine Familie nicht in noch größere Gefahr bringen. Seine Mutter hatte die Menschen geheilt, und diese hatten es ihr gedankt, indem sie sie umgebracht hatten.
War es
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