Die Bluterbin (German Edition)
Mutter scheint es nicht recht zu sein. Ich würde sie gerne fragen, was der Grund dafür ist, aber ich wage es nicht.“
Sie klang so traurig, dass Robert einen Arm um sie legte und ihr tröstend über das seidige Haar strich. Erschrocken wand sie sich aus seiner Umarmung.
„Das dürft Ihr nicht, ich bin verlobt“, meinte sie entschieden.
Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das ich kennengelernt habe, dachte Robert nach einem Blick in ihr entschlossenes Gesicht und: Sie hatte recht. Nur war er so sehr in sie verliebt, dass er die ganze Zeit über den Gedanken an Maries Verlobten weit von sich geschoben und die Hoffnung, sie allen widrigen Umständen zum Trotz, doch noch heimführen zu dürfen, nicht aufgegeben hatte.
„Ich muss mit Euch reden“, bat er leise und zog sie von der Kathedrale und mit sich fort. „Könnt Ihr Euch denn noch an irgendetwas von dem, was gestern geschehen ist, erinnern?“
Marie sah ihn erschrocken an. „Nein, an nichts mehr, nachdem ich wieder diese schrecklichen Krämpfe gehabt habe.“
Dann tauchte allerdings wie aus weiter Ferne das Gesicht eines Mannes vor ihrem inneren Auge auf.
„Da war dieser Mann mit den traurigen Augen, er war prächtig gekleidet, und er hatte furchtbare Schmerzen, ich konnte sie fühlen. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern.“ Hilflos sah sie Robert an, der sofort beruhigend nach ihrer Hand griff.
„Der Mann, den Ihr gesehen habt, war der König von Frankreich“, brachte ihr Robert behutsam bei.
Marie erschrak. „Der König war in der Kathedrale? Was hat das zu bedeuten?“ Verwirrt sah sie an ihm vorbei. „Ich habe einen merkwürdigen Traum gehabt, der mir Angst gemacht hat.“
„Erzählt mir davon.“ Robert legte sanft einen Arm um ihre Schultern, und Marie ließ es geschehen.
„Ich sah ein brennendes Kreuz am Himmel, es wurde immer größer, bis es direkt vor mir stand. Es war so heiß, dass ich dachte, die Flammen würden mich verbrennen. Dann bin ich aufgewacht. Was mag das alles nur bedeuten?“, wandte sie sich wiederum völlig ratlos an ihn.
Robert hätte sie am liebsten in seine Arme gezogen, um sie für immer festzuhalten. Sie war so zart und so verletzlich, und die Vorstellung, sie nicht jederzeit vor allem beschützen zu können, beunruhigte ihn zutiefst.
„Es war nur ein Traum“, beschwichtigte er sie, obwohl er innerlich aufgewühlt war. „Ihr braucht keine Angst zu haben, ich werde Euch beschützen, notfalls mit meinem Leben.“
Ihre Augen trafen sich, versanken ineinander und hielten stumme Zwiesprache. Es dauerte lange, bis sie sich wieder voneinander lösten.
Beide spürten, dass gerade etwas mit ihnen geschehen war, das so überwältigend war, dass es sich nicht in Worte fassen ließ. Jedes Gefühl von Fremdheit war von ihnen abgefallen und einer bedingungslosen Vertrautheit gewichen.
Beide hatten Mühe, mit dem Ansturm der Gefühle fertig zu werden, die wie eine Naturgewalt über sie hereingebrochen waren.
Als die Dämmerung hereinbrach, sah Marie erschrocken auf. Sie fühlte sich, als würde sie aus einem wunderschönen Traum erwachen. Doch mit der Dämmerung kam die Feuchtigkeit, und sie begann zu frösteln.
„Ich muss nach Hause“, sagte sie. „Elsa wird fürchterlich schimpfen, wenn ich noch länger fortbleibe.“
Robert fühlte sich verwirrt wie nie zuvor. Was war nur mit ihm geschehen? Er hielt Marie zurück.
„Bitte wartet. Es gibt noch etwas, das ich Euch zeigen möchte.“ Er zog den Ring des Königs aus seinem Beutel und legte ihn in Maries Hand.
Im letzten Licht des Tages betrachtete Marie das kostbare Schmuckstück eine Weile, dann sah sie Robert fragend an.
„Der Ring ist von König Ludwig. Er hat ihn an Euren Finger gesteckt, als Ihr bewusstlos ward.“
Robert wiederholte die Worte des Königs, die er sich fest eingeprägt hatte. „Dieses Mädchen hat mich wie durch ein Wunder von meinen Schmerzen befreit. Sollte es jemals meine Hilfe benötigen, dann zögert nicht, mir den Ring zukommen zu lassen. Er wird mich für immer an den Tag erinnern, an dem Gott mir eine große Gnade gewährt hat.“ Beide schwiegen sie für einen Moment bedrückt.
„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte Marie schließlich zum dritten Mal an diesem Tag, und ihre Stimme zitterte leicht.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Robert. „Ich weiß nur, dass ich Euch beschützen werde, solltet Ihr jemals in Gefahr geraten.“
Er begleitete Marie nach Hause und blieb noch eine ganze Weile vor dem
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