Die Bluterbin (German Edition)
gewesen und ihm aus der Hand gerutscht war.
Endlich hatten sie aufgehört, sich zu bewegen, und das Grunzen des Grundbesitzers war in ein schwaches Stöhnen übergegangen, das aber schon bald für immer verstummt war.
Zitternd hatte er anschließend auf den blutüberströmten Körper seiner Mutter gestarrt. Ihr großer weißer Busen hing schlaff herunter, aber ihre behaarte Scham war noch immer geschwollen gewesen.
Der Anblick hatte ihn wider Willen erregt, und obwohl er versuchte, sich dagegen zu wehren, hatte er nicht verhindern können, dass sich ein warmer Strahl in seine Hose ergossen hatte.
Von namenlosem Grauen gepackt, hatte Radulfus daraufhin das Messer fallen lassen und war aus dem Haus gerannt, weiter und immer weiter, so lange, bis seine Lungen vor Schmerz fast geborsten waren.
Er war bereits halb verhungert und völlig verstört gewesen, als irgendwann zwei Mönche aufgetaucht waren und ihn ohne große Worte mit in ihr Kloster genommen hatten.
In dem ständig wiederkehrenden Rhythmus des eintönigen Klosterlebens begannen die Erinnerungen an sein altes Leben allmählich zu verblassen, geblieben waren nur eine merkwürdige Unruhe und seine quälenden Träume, die ihn immer wieder aus dem Schlaf rissen und ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Sein schlechtes Gewissen und die Angst, dass seine gottlose Tat eines Tages doch noch ans Tageslicht kommen könnte, hatten seinen Instinkt für Gefahr geschärft. Und mit einem schon fast krankhaften Misstrauen begann er seine Umgebung zu beobachten, wodurch er Zeuge einer Intrige gegen den Abt wurde, der wegen seiner übergroßen Strenge nur wenig beliebt bei seinen Mitbrüdern war. Er erkannte die Chance, die sich ihm bot, und nutzte sie, indem er dem Abt alles berichtete, was er zuvor beim Lauschen erfahren hatte.
Der Abt nahm ihn daraufhin als Novizen auf und ließ ihn lesen und schreiben lernen. Anfangs hatte sich Radulfus mit dem Lernen schwergetan und seine Lehrer immer wieder zur Verzweiflung gebracht, doch dann hatte er erkannt, dass das Lernen die einzige Möglichkeit für ihn darstellte, eines Tages ein besseres Leben zu führen, und von diesem Tag an hatte er einen ungeahnten Ehrgeiz entwickelt. Es dauerte nicht lange, bis er der beste Schüler des Klosters geworden war. Auf diesem Erfolg hatte er aufgebaut und sich rücksichtslos weiter nach oben gearbeitet, bis er zuletzt, von seinem alten Abt und durch eine glückliche Fügung des Schicksals unterstützt, sogar Bischof geworden war.
Die Worte des Königs klangen ihm noch immer im Ohr: „Dieses Mädchen hat mich wie durch ein Wunder von meinen Schmerzen befreit.“
Wenn Marie den König geheilt hatte, dann würde sie auch Radulfus’ Seele heilen können. Es war dieser Gedanke, an den er sich klammerte und von dem er von einem Moment zum anderen wie besessen war. Vor so viel reiner Unschuld würde selbst Gott kapitulieren. Er musste das Mädchen nur dazu bringen, für ihn zu beten. Plötzlich fiel ihm der junge Mann ein, der sie in seinen Armen gehalten hatte, und wilder Hass loderte in ihm auf. Er war einer der Kathedralschüler, die sich allesamt für etwas Besseres hielten und so gut wie vor nichts und niemandem Respekt hatten. Unter allen Umständen musste er verhindern, dass er das Mädchen beschmutzen oder ihr gar die Unschuld rauben würde, denn sie war seine einzige Chance, dem Höllenfeuer doch noch zu entgehen. Seine Gedanken wurden wirr, verwoben sich miteinander, bis die Schmerzen in seinem Kopf schließlich unerträglich wurden.
Er klingelte nach seinem Diener. „Bring mir Wein und gib etwas von meiner Medizin hinein“, forderte er, „und mach rasch.“
Der Diener beeilte sich, den Wunsch seines Herrn zu erfüllen, und kehrte sogleich mit einer Kanne Wein zurück, in die er eine kleine Menge Opium, vermischt mit Schierling, gegeben hatte. Damit füllte er dem Bischof seinen silbernen, juwelenbesetzten Becher. Radulfus stürzte den Wein in einem Zug hinunter und ließ sich danach erneut einschenken. Der Wein beruhigte ihn, und es dauerte nicht lange, bis auch die Schmerzen in seinem Kopf nachließen. Entschlossen ließ er Bruder Gregor zu sich rufen.
Der Sakristan stand am Fenster und beobachtete ihn aus schmalen Augen. „Ihr habt also nichts gesehen, weder was geschehen ist noch sonst irgendetwas?“, fragte ihn Radulfus nun schon zum dritten Mal.
„Ich möchte wissen, ob der König das Mädchen kannte oder ob er sie zufällig getroffen hat, und ich will alles über ihre
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