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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Er war leer. Andrej wollte nach der
kleinen Glocke greifen und nach Elenja läuten, aber Maria legte ihm
rasch die Hand auf den Unterarm und schüttelte den Kopf.
    »Elenja schläft wahrscheinlich schon«, sagte sie. »Ich habe ihr freigegeben. Ich hole dir neuen Wein, wenn du noch welchen willst.«
Der tadelnde Unterton in ihrer Stimme entging Andrej nicht. Tatsächlich hatte er den Krug innerhalb kürzester Zeit beinahe allein
geleert. Er begann den Alkohol bereits zu spüren, was ungewöhnlich
war. Wenn man sein halbes Leben mit einem Mann wie Abu Dun
verbracht hatte, dann war man es gewohnt, gewaltige Mengen an
Alkohol zu konsumieren. Er zögerte kurz und nickte dann.
Maria nahm den leeren Krug vom Tisch und ging aus dem Zimmer.
Auch Andrej erhob sich und schlenderte zum Kamin hinüber. Trotz
des hell lodernden Feuers war es kalt. So kalt, dass er seinen Atem
als grauen Dampf vor dem Gesicht erkennen konnte, während er vor
dem Feuer niederkniete und die Handflächen den Flammen entgegenstreckte. Er tat es vorsichtig, um nicht zu wiederholen, was ihm
am Tag zuvor passiert war. Obwohl es nur wenige Stunden zurücklag, schien es in einem anderen Leben passiert zu sein.
Andrej schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen und
Ruhe in seine Gedanken zu bringen. Er hatte es bitter nötig, nachdem
er jedes Mal erschöpfter und müder erwachte, als er eingeschlafen
war.
Wie mochte das Leben ohne Abu Dun sein? Er konnte es sich einfach nicht vorstellen. Sie waren so lange zusammen gewesen, dass
der Nubier zu einem Teil von ihm geworden war.
Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Maria war zurückgekommen. Sie hatte keinen neuen Krug Wein gebracht, sondern lediglich ein einzelnes Glas aus kostbar geschliffenem Kristall, in dem
eine rotgoldene Flüssigkeit das Licht der Flammen brach. Er hatte
nicht gehört, dass sie zurückgekommen war. Sie trug nicht mehr das
Kleid aus rotem Brokat, sondern ein langes Gewand aus Seide, unter
dem sich die Linien und Rundungen ihres Körpers deutlich abzeichneten.
Trotz des verführerischen Anblicks empfand Andrej nichts. Er fühlte sich leer und ausgebrannt. Vielleicht würde er nie wieder in der
Lage sein, echte Gefühle zu erleben.
Abgesehen von Hass.
»Trink«, sagte Maria. »Das wird dir gut tun.«
Andrej griff nach dem Glas und nippte daran. Der Wein schmeckte
leicht muffig, und er konnte spüren, wie stark er war. Dennoch trank
er einen zweiten Schluck und leerte das Glas schließlich ganz.
»Brav«, lobte Maria ihn spöttisch, als er ihr das leere Glas zurückgab. »Den schlechten Geschmack musst du entschuldigen. Er kommt
von dem Schlafmittel, das ich dem Wein beigemischt habe.«
»Schlafmittel?«
»Du brauchst Ruhe«, sagte Maria bestimmt. »Du wirst sehen, dass
du dich gleich besser fühlst, wenn du eine ganze Nacht durchgeschlafen hast.«
Vielleicht hatte sie Recht, überlegte Andrej. Er hätte verärgert sein
sollen, dass sie ihm ohne sein Wissen einen Schlaftrunk gegeben
hatte. Aber es erschien ihm viel zu mühsam, ein so kompliziertes
Gefühl wie Wut zu entwickeln.
Maria hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, ließ sich wieder zurücksinken und streifte die Ärmel ihres Nachthemdes über die Schultern.
»Ich dachte, du hättest mir ein Schlafmittel gegeben«, sagte er.
»Es wirkt erst in einer halben Stunde«, antwortete sie. »Und wenn
das nicht reicht?«
»Aufschneider«, erwiderte Maria mit einem Lächeln. »Und sollte es
wirklich so sein, dann fällt mir schon etwas ein, um dich wach zu
halten.«
Sie machte Anstalten, das Hemd vollends abzustreifen, aber Andrej
ergriff ihren Arm und hielt sie zurück. »Nicht«, sagte er. »Bitte.«
Maria wirkte verwirrt, zog aber das Hemd wieder über die Schultern.
»Mir… ist nicht danach«, sagte er stockend. »Bitte entschuldige.«
»Abu Dun«, sagte Maria mitfühlend. »Ich verstehe. Verzeih mir.
Das war… taktlos.« Sie zupfte verlegen an ihrem Nachthemd herum,
zog dann die Knie unter den Leib und kuschelte sich an seine Schulter. »Mir war nicht klar, wie sehr du…« Sie suchte nach Worten.
»Wie viel er dir bedeutet hat«, sagte sie schließlich.
Wie auch?, dachte Andrej. Es war ihm ja selbst bisher nicht klar
gewesen. Warum spürte man erst, wie viel einem ein Mensch wirklich bedeutete, wenn man ihn verloren hatte? Plötzlich fühlte er sich
müde. Eine bleierne Schwere begann von seinen Gliedern Besitz zu
ergreifen, und er hatte Mühe, die Augen offen zu halten. War das
schon die

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