Die Blutgraefin
Andrej.
»Und wahrscheinlich würdest du das sogar«, vermutete Maria. Sie
lächelte matt. »Du bist der einzige Mensch auf der Welt, dem ich
zutraue, ihn zu finden. Weißt du, dass ihr euch in vielem sehr ähnlich
seid?«
Statt zu antworten, drehte sich Andrej wortlos um und wollte an ihr
vorbei zur Tür gehen.
Maria hielt ihn am Arm fest. »Andrej, bitte.«
Andrej wollte sich mit einer zornigen Bewegung losreißen, aber es
gelang ihm nicht. Stattdessen stieß ihn Maria ohne die geringste Mühe auf das Bett zurück, nahm direkt vor ihm Aufstellung und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
»Verdammt noch mal, was soll das?«, fauchte Andrej. Er sprang
wieder auf, doch Maria wich nicht zurück, sondern schüttelte nur
eigensinnig den Kopf.
»Findest du, dass jetzt der richtige Moment für alberne Spielchen
ist?«, fragte er wütend.
»Solange du dich wie ein albernes Kind benimmst, ja«, antwortete
Maria. »Was glaubst du, was Blanche mit dir anstellt, wenn ich dich
schon niederwerfen kann? Willst du unbedingt sterben? Wenn ja,
dann gib mir dein Schwert, und ich erledige das für dich. Du sparst
dir eine Menge Mühe, und es tut bestimmt nicht so weh wie das, was
er mit dir machen wird.«
Andrej wollte auffahren, sie anbrüllen, einfach aus dem Weg
schleudern, wenn es sein musste. Blanche hatte Abu Dun umgebracht. Er musste ihn finden und töten, das war alles, was noch zählte. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Allein der Name des
Weißhaarigen reichte aus, ihn in Raserei zu versetzen.
»Geh mir aus dem Weg!«, verlangte er. »Oder…«
»Oder was?«, fragte Maria. »Willst du mich schlagen? Nur zu!
Lauf ihm nach und lass dich umbringen. Aber damit machst du Abu
Dun auch nicht wieder lebendig. Schlag mich nieder! Wahrscheinlich
habe ich es verdient.«
»Wie meinst du das?«, fragte Andrej.
Marias Stirn umwölkte sich. Sie antwortete nicht sofort, sondern
starrte nur an ihm vorbei ins Leere, bevor sie sich auf die Bettkante
sinken ließ und ihre Hände im Schoß faltete.
»Gestern Nacht«, begann sie mit leiser, ausdrucksloser Stimme,
»nachdem du eingeschlafen bist, bin ich noch einmal hinuntergegangen, um mit ihm zu sprechen.«
»Warum?«
»Er wollte es«, antwortete Maria. »Er hatte mir vorher gesagt, dass
er mit mir reden wollte.« Sie atmete hörbar ein, hob den Kopf und
sah ihm fest in die Augen. »Er hat mir gesagt, dass er fortgeht. Es
war mir immer klar. Wir haben nie darüber gesprochen, aber wir
wussten beide, dass er gehen würde, sobald wir dich gefunden haben.«
»So schnell?«
»So schnell«, bestätigte Maria. »Aber wir haben auch über Abu
Dun gesprochen.«
Andrej starrte sie an.
»Ich… ich habe es nicht begriffen«, fuhr Maria mit leiser, zitternder
Stimme fort. »Es ist meine Schuld, Andrej. Es tut mir so unendlich
Leid. Wenn ich es rückgängig machen könnte, würde ich es tun, aber
ich…« Sie konnte nicht weiterreden.
»Wovon sprichst du?«, fragte Andrej.
»Er hat mir gesagt, dass er Abu Dun nicht traut. Ich habe nicht begriffen, was er gemeint hat, bitte glaub mir! Er… er hat gesagt, dass er
sich darum kümmern wird, bevor er geht, aber ich konnte doch nicht
wissen, was er damit meint.«
»Du meinst, er hat Abu Dun getötet, weil ich bei dir bleiben will?«,
flüsterte Andrej.
Maria schwieg, und auch Andrej konnte nichts mehr sagen. Seine
Kehle war wie zugeschnürt. Er verstand Maria. Er gab ihr keine
Schuld - wie hätte sie wissen können, was der Weißhaarige meinte?
Blanche hatte Abu Dun umgebracht, um Maria zu beschützen, nachdem sie ihn, Andrej, wieder gefunden hatte, da er in Abu Dun eine
Gefahr für Maria sah.
Es war, als ob Andrej Abu Dun selbst den Todesstoß versetzt hätte.
So wie schon zuvor hatte Elenja ein wahres Festmahl für sie zubereitet, dem aber weder Maria noch er mit großem Appetit zusprachen, obwohl es köstlich war und Andrej sich nach wie vor wie ausgehungert fühlte. Er stocherte eine Weile lustlos in seiner Mahlzeit
herum und schob den Teller dann angewidert von sich. Maria blickte
vorwurfsvoll, enthielt sich aber jeglichen Kommentars, wofür Andrej
ihr dankbar war. Er wusste, dass er nicht nur dem Essen, sondern vor
allem dem Mädchen, das es mit einem großen Aufwand an Mühe
und Zeit zubereitet hatte, bitter Unrecht tat. Deshalb nahm er sich
vor, sich am nächsten Morgen bei Elenja zu entschuldigen, schob
seinen Teller aber dennoch ein weiteres Stück zurück und griff stattdessen nach dem Weinkrug.
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