Die Blutgraefin
Hexe geworden bist«,
murmelte Andrej. Bei diesen Worten lief ihm ein kalter Schauer über
den Rücken, aber Marias Lachen wurde noch lauter.
»Aber du hast doch nicht erwartet, dass ich dir auf der Stelle alle
meine Geheimnisse offenbare?«, fragte sie. »Du solltest eine Frau nie
unterschätzen, Andrej. Schon gar nicht eine Frau wie mich.«
Unwillkürlich rutschte Andrej ein kleines Stück von ihr weg und
schaute sie lange forschend an. »Hast du das auch von Blanche gelernt?«
»Ich habe doch gesagt, ich weiß nahezu alles von ihm.«
»Und woher weißt du von Frederic?«
Marias Blick veränderte sich. Es schien, als ob in ihren Augen, die
bisher von Mitgefühl und tiefer Zuneigung erfüllt gewesen waren,
plötzlich eine Spur von Gekränktheit läge. »Du fragst dich, woher
Frederic wusste, wo ich bin«, sagte sie. »Das kann ich dir sagen. Ich
habe ihn getroffen. Vor vielleicht einem halben Jahr. Kurz bevor
Blanche und ich hierher gekommen sind.«
»Frederic?«, vergewisserte sich Andrej ungläubig. »Du hast Frederic getroffen?« Maria nickte. Sie verzog flüchtig die Lippen. »Ja«,
sagte sie. »Ich kann nicht behaupten, dass ich sehr glücklich über
diese Begegnung war. Es gibt Menschen, die man nicht unbedingt
wieder treffen möchte.«
»Und was hat er…«
»Wir haben nicht sehr lange miteinander gesprochen«, fiel ihm Maria ins Wort. Ihr Ton machte deutlich, dass sie nicht über Andrejs
ehemaligen Ziehsohn sprechen wollte. Dennoch fuhr sie fort: »Blanche hat mit ihm geredet. Ich weiß nicht, worüber, aber danach hatte
er es ziemlich eilig, wieder zu gehen.«
Andrej glaubte ihr kein Wort. Das war sicher längst nicht alles gewesen. Aber er fühlte, dass Maria nicht gewillt war, mehr preiszugeben.
»Warum muss ich mich ständig rechtfertigen, Andrej?«, fragte sie
plötzlich in verletztem Ton. Sie streckte die Hand aus, berührte
flüchtig seine Schulter und zog die Finger dann so hastig wieder zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Ich bin nicht deine Feindin. Vielleicht bin ich nicht das, was du nach all den Jahren erwartet hast.
Aber ich bin immer noch die, die ich war.«
Andrej wusste die Antwort auf diese Frage nicht. So gerne er ihr
widersprochen hätte, er konnte es nicht. Maria hatte vollkommen
Recht: Ihr Wiedersehen war nicht so, wie er es erwartet hatte. Ein
halbes Jahrhundert lang hatte er davon geträumt. Natürlich hatte er
nicht ernsthaft geglaubt, dass Maria dem Idealbild entsprechen könnte, zu dem sie in seinen Gedanken und Sehnsüchten geworden war.
Und doch war in ihm ein Gefühl tiefer Enttäuschung, das er nicht
begründen konnte und dessen er sich schämte. Lag es an Blanche?
Machte er - ohne es zu wollen - sie für das verantwortlich, was der
Weißhaarige ihm angetan hatte?
»Er hat mich niemals gezwungen, irgendetwas zu tun, was ich nicht
wollte«, sagte Maria.
»Habe ich das auch wieder laut ausgesprochen?«
Maria schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Aber ich habe Recht, nicht
wahr?«
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer er wirklich ist«, sagte
Andrej, statt ihre Frage zu beantworten.
»Vielleicht, weil ich es selbst nicht weiß«, erwiderte Maria. »Am
Anfang dachte ich, ich wüsste es. Aber je länger ich ihn gekannt habe, desto weniger sicher war ich. Er hat niemals über sich gesprochen, weißt du?«
»In all den Jahren nicht?«, wunderte sich Andrej. »Oh, natürlich hat
er aus seinem Leben erzählt«, gab Maria zurück. »Er hat so viele
Geschichten erzählt, so viele Dinge, die er erlebt und gesehen hat.
Aber er hat niemals von sich erzählt. Er hat niemals verraten, was er
ist, oder wie er zu dem geworden ist, was er nun ist. Ich weiß nur,
dass er sehr alt sein muss. Ich selbst habe sie nie gesehen, doch Abu
Dun hat dir bestimmt von den großen Pyramiden in seinem Land
erzählt, oder? Warst du einmal dort?«
»Nein«, antwortete Andrej. »Aber ich weiß davon.«
»Blanche war dabei, als sie erbaut wurden«, sagte Maria. »Und ich
glaube, er war auch damals schon alt. Vielleicht ist er einer der Ersten.« Sie zuckte mit den Schultern und sah aus großen, fremd wirkenden Augen in die tanzenden Flammen des Kaminfeuers. Ihre
Stimme wurde leiser. »Vielleicht ist er sogar der Erste, der so wurde
wie wir. Wer weiß, vielleicht stammen wir alle von ihm ab.«
»Das meinst du nicht ernst«, sagte Andrej. Maria lachte leise und
riss ihren Blick von den Flammen los. »Nein, natürlich nicht«, sagte
sie. »Aber er ist so wie wir. Vielleicht
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