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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Zeitpunkt. Der Schmerz war noch zu frisch. Aber zugleich spürte er
auch, dass es hilfreich sein könnte, seinen Schmerz zu teilen.
»Ja«, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Wir waren gute Freunde, unser ganzes Leben lang. Bessere Freunde, als mir bisher bewusst war.
Und jetzt ist er tot.«
Das Wort schnitt wie ein glühendes Messer in seine Brust. Warum
tat es nur so weh? Sie waren Krieger gewesen, Söldner, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Schwert verdienten, und die immer gewusst hatten, dass dieses Leben eines Tages auch durch das Schwert
enden würde, selbst wenn sie Unsterbliche waren. Und dennoch traf
ihn der Schock so hart, dass er schier daran zu Grunde ging. Es gab
Dinge, auf die man nie vorbereitet war.
»Es tut weh, ich weiß«, sagte Elenja mitfühlend. Ihre schmale Hand
griff nach seinen Fingern und drückte sie. Es war eine Geste echten
Mitgefühls, und doch musste Andrej all seine Kraft aufwenden, um
sie nicht einfach von sich zu stoßen, sie zu schlagen. Abu Dun war
tot, ermordet. Wie konnte dieses dumme Kind sich einbilden, seinen
Schmerz auch nur im Entferntesten nachempfinden zu können?
Doch noch bevor er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde
ihm klar, wie widersinnig er war. Dieses dumme Kind hatte vor wenigen Tagen seine gesamte Familie verloren. Wenn jemand das
Recht hatte, in Tränen auszubrechen und mit dem Schicksal zu hadern, dann sie! Stattdessen versuchte sie, ihm Trost zu spenden.
Andrej fühlte sich gemein und schäbig.
»Wie komme ich hierher?«, fragte er, um sich von seinen beschämenden Gedanken abzulenken.
»Gräfin Berthold war in Sorge, weil Ihr so lange fort wart«, antwortete Elenja. »Wir haben gewartet, und dann ist Euer Pferd allein zurückgekommen. Also haben wir Euch gesucht. Zuerst haben wir
Euch nicht finden können, aber dann…« Sie stockte, atmete hörbar
ein und fuhr nach einer Pause sichtbar angespannt fort: »Dann haben
wir Euren Freund gefunden, und… und die… anderen.«
Sie stockte erneut, fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die
Lippen und sprach weiter, ohne ihn direkt anzublicken: »Es waren…
Ulrics jüngere Söhne, nicht wahr? Habt Ihr… ich meine… gab es
noch mehr Tote?« Sie überwand sich, es auszusprechen: »War Stanik
auch dabei?«
»Ich habe ihn wenigstens nicht gesehen«, sagte Andrej vorsichtig.
»Aber ich glaube nicht.«
Elenja lächelte schüchtern, doch Andrej spürte deutlich, wie schwer
es ihr fiel, die Fassung zu bewahren. Er fühlte sich noch jämmerlicher. Ganz gleich, was er selbst von Stanik halten mochte - dieser
Junge war jetzt alles, was ihr geblieben war. Statt auszusprechen,
was er wirklich dachte, schüttelte er nur den Kopf und bekräftigte:
»Er war bestimmt nicht dabei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er
freiwillig hierher gekommen wäre.« Er konnte sich allerdings auch
nicht vorstellen, dass Staniks Brüder freiwillig zu diesem Hof kamen,
schon gar nicht in Begleitung des Geistlichen. Und der einzige
Mensch, der diese Frage hätte beantworten können, war tot.
Er versuchte noch einmal sich aufzurichten. Diesmal gelang es ihm.
Als er sich mühsam in eine halb sitzende Position aufgerichtet hatte,
wurde ihm schwindelig. Obwohl das Mädchen kein Wort sagte, spürte Andrej, dass sie sich anspannte, um bereit zu sein, sollte er fallen.
Er fiel nicht. Das Schwindelgefühl wurde kurz stärker und verschwand dann abrupt. Nur die Schwere in seinen Gliedern blieb. Die
Decke rutschte von seinen Schultern, und er stellte fest, dass er darunter nackt war.
»Wo sind meine Kleider?«, fragte er.
Elenja wies auf das Fußende des Bettes. »Ich habe sie gewaschen«,
sagte sie. »Alle Flecken habe ich nicht rausbekommen. Sie waren
furchtbar schmutzig und voller Blut.«
Andrej beugte sich ächzend vor und griff mit der linken Hand nach
seinen Kleidern, während er mit der anderen die Decke festhielt, damit sie nicht gänzlich herunterrutschte. Elenja sah ihm mit einer gewissen Schamhaftigkeit zu, rührte jedoch keinen Finger, um ihm zu
helfen.
»Du hast die Sachen gewaschen, sagst du?«, fragte er zweifelnd.
Elenja machte ein betroffenes Gesicht. »Zweimal«, verteidigte sie
sich. »Alles habe ich nicht rausbekommen. Ich habe es so gut gemacht, wie ich konnte.«
Das hatte Andrej nicht gemeint. Nach seinem Dafürhalten waren
die Kleider so sauber wie schon seit Monaten nicht mehr. Und sie
waren vollkommen trocken.
»Wie lange… bin ich schon hier?«, fragte er stockend.
»Den

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