Die Blutgraefin
Blutstrom aus seinen
aufgeschnittenen Adern schoss.
»Trink«, sagte er. »Hier! Nimm! Du musst leben!«
Hinter ihm stieß Stanik einen schrillen Schrei aus. »Gott im Himmel! Was… was tust du da?«, krächzte er heiser.
Andrej ignorierte ihn. Hastig ließ er den Dolch fallen, schob die
rechte Hand unter Marias Nacken und hob ihren Kopf an. Zugleich
hielt er sein linkes Handgelenk über ihr Gesicht, sodass der dunkelrote Strom ihre Lippen benetzte.
»Trink«, wiederholte er mit leiser, zitternder Stimme. Er ahnte, dass
er einen verhängnisvollen Fehler machte; dass das, was er zu tun im
Begriff war, unter gar keinen Umständen geschehen durfte. Doch
wenn dies der einzige Weg war, um Marias Leben zu retten, das immer schneller aus ihr herausfloss, dann musste er ihn eben gehen.
Maria warf stöhnend den Kopf von der einen auf die andere Seite.
Ein Schatten schien über ihr Gesicht zu huschen, als bewege sich
etwas Monströses unter ihrer Haut und versuche hervorzubrechen.
Ihre Augen erloschen und machten daumennagelgroßen, glotzenden
Kugeln ohne Pupille oder Seele Platz. Auch die Umrisse ihres Körpers schienen sich zu verändern. Dann erreichte ihre tastende Zunge
die ersten, Leben spendenden Tropfen seines warmen Blutes, und die
grässliche Sinnestäuschung verging.
Andrej fühlte sich schuldig. Was war nur mit ihm los? Warum plagten ihn immer wieder solche Halluzinationen?
Maria sog mit einem schrecklichen, rasselnden Laut die Luft ein
und bäumte sich auf.
Sie versuchte sogar, seine Hand abzuschütteln. Aber nachdem der
erste, rote Tropfen ihre Zunge benetzt hatte, packte sie blitzschnell
seinen Arm, zog ihn zu sich herab und presste die Lippen gegen seine aufgeschnittenen Pulsadern, um mit großen, gierigen Schlucken
zu trinken. Andrej wollte instinktiv die Hand zurückziehen, unterdrückte den Impuls aber und presste den Arm noch fester gegen ihren
Mund, um sie von seiner Lebenskraft trinken zu lassen.
Es dauerte lange. Endlos lange. Und er war nicht einmal sicher, ob
es nicht bereits zu spät war. Marias Kraft schien noch weiter abzunehmen, ihre Bewegungen wurden schwächer. Schließlich aber begann ihr Herz kräftiger zu schlagen. Ganz allmählich kehrte Leben in
ihren Blick zurück, während Andrej spürte, wie seine Kraft immer
schneller nachließ. Es war nicht nur sein Blut, das Maria trank - sie
schöpfte von seiner Lebenskraft, so wie er es tat, wenn er die Kraft
seiner Opfer nahm. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, dass sie
wieder damit aufhören würde. Sie litt Todesangst. Vielleicht konnte
sie gar nicht aufhören. Vielleicht würde sie ihn mit sich ins Verderben reißen. »Hör auf«, stöhnte er. »Maria, bitte - hör auf!« Sie reagierte nicht auf seine Worte, hörte sie vielleicht nicht einmal. Andrej
versuchte seinen Arm loszureißen, aber Maria klammerte sich mit
beiden Händen an ihn. Seine Stärke nahm mit jedem Tropfen Blut,
den sie von ihm trank, im gleichen Maße ab, wie die ihre zunahm.
»Maria, bitte«, keuchte er. »Du bringst mich ja um!« Ihre Hände
klammerten sich nur noch fester an seinen Arm, und aus seiner
Schwäche wurde Hilflosigkeit, als täte sich tief in seinem Inneren ein
bodenloser Abgrund auf, der ihn zu verschlingen drohte.
Im letzten Moment ließ Maria seinen Arm los. Ihr Kopf sank mit
einem erschöpften Seufzer zurück. Auch Andrej fiel nach hinten und
musste sich mit dem unversehrten Arm aufstützen, um nicht zu Boden zu fallen. Alles drehte sich um ihn. Er kämpfte mit aller Macht,
um nicht das Bewusstsein zu verlieren, und wie durch ein Wunder
gelang es ihm, diesen Kampf zu gewinnen. Aber er war so schwach,
dass er wie ein Betrunkener hin und her schwankte und das Zimmer
einen irrsinnigen Tanz zum ihn herum zu vollführen schien.
Metall scharrte über Stein. Andrej zwang sich, den Kopf zu drehen
und erblickte Stanik, der neben Maria in die Hocke gegangen war
und den Dolch aufgehoben hatte. Sein Gesicht war eine Maske puren
Grauens.
»Nicht, Stanik«, flehte Andrej. »Bitte.« Er war so schwach wie
niemals zuvor. Er hatte nicht die Kraft, sich zu wehren, wenn der
Junge ihn oder Maria angriff.
»Mein Gott«, flüsterte Stanik mit leiser, tonloser Stimme. »Was…
was seid ihr?«
»Nicht das, was du glaubst«, antwortete Andrej mühsam. Er versuchte vergeblich den Kopf zu schütteln. »Ich erzähle dir alles, aber
lass mich… einen Moment zu Kräften kommen.« Er war nicht sicher, ob ein Moment reichte. Sein Arm blutete
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