Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
hörst oder siehst, was dir nicht gefällt, dann kletterst du
nach oben und läufst deinem Vater und den anderen entgegen.«
Stanik antwortete nicht. Andrej spürte, dass er sich seinen Atem
hätte sparen können. Aber wenn dieser liebeskranke junge Narr unbedingt sein Leben aufs Spiel setzen wollte, dann sollte er es tun.
Das Messer griffbereit in der Hand und alle Sinne bis zum Zerreißen angespannt, begann er über Schutt und Trümmer hinwegzuklettern und näherte sich der Fortsetzung des Tunnels. Durch das Loch in
der Decke über ihnen wirbelte feiner Schnee herein. Er konnte ein
entferntes Tosen und Brausen hören, und manchmal das gedämpfte
Krachen von zerbrechendem Holz. Allem Anschein nach war das
Feuer immer noch auf das Wohnhaus auf der anderen Seite des Hofes beschränkt, doch es bestand kein Zweifel daran, dass der Hof
bald vollkommen in Schutt und Asche liegen würde. Dieser Gedanke
erfüllte ihn mit Erleichterung.
Entgegen seiner Anweisung, aber auch, ohne dass Andrej etwas dagegen sagte, folgte ihm Stanik durch den Raum und trat neben ihn,
als Andrej vor dem Eingang zum Tunnel stehen blieb. Die Dunkelheit darin war vollkommen, der fremdartige Geruch noch stärker.
Andrej vernahm leise, schwere Atemzüge.
»Elenja!«, schrie Stanik. Bevor Andrej ihn zurückhalten konnte,
stürmte er los und verschwand mit gewaltigen Sätzen in der Dunkelheit. Die Kerze erlosch, aber er konnte hören, dass der Junge seine
Schritte noch weiter beschleunigte. Andrej hoffte, dass der Gang
nicht plötzlich endete oder in jähem Winkel abknickte und Stanik
sich den Schädel an der Wand einrannte. Mit einem lautlosen Fluch
auf den Lippen stürmte er dem Jungen hinterher.
Seine Kerze erlosch augenblicklich, aber Staniks Schritte waren
laut genug, um sich daran zu orientieren. Der Junge befand sich einige Meter vor ihm, und das hallende Echo seiner Schritte verriet Andrej, dass sich der Gang in dieser Richtung noch ein Stück geradeaus
fortsetzte, bevor er tatsächlich vor einer Mauer zu enden schien. Er
wollte Stanik eine Warnung zurufen, aber es war zu spät: Staniks
Schritte brachen abrupt ab. Nur einen Augenblick später hörte er
einen krächzenden Schrei, gefolgt von einem lang anhaltenden Poltern und Krachen, von dem Andrej nur zu gut wusste, was es bedeutete. Es war das unverkennbare Geräusch, mit dem ein menschlicher
Körper eine Treppe hinunterstürzte.
Andrej fluchte, rannte noch schneller und wäre um ein Haar selbst
gegen eine Wand gelaufen, als der Gang einen abrupten Knick nach
links machte. Hinter der Biegung begann eine schmale, steinerne
Treppe, die in jähem Winkel gut fünfundzwanzig Stufen weit in die
Tiefe führte. An ihrem unteren Ende flackerte das blassrote Licht
einer Fackel oder eines offenen Feuers, in dessen Schein er Stanik
erkennen konnte, der schmerzverkrümmt am Boden lag, offensichtlich aber noch bei Bewusstsein war. Der fremdartige Geruch, der
bisher kaum wahrnehmbar in der Luft gehangen hatte, wurde dort so
intensiv, dass er Andrej fast den Atem nahm. Er stützte sich mit der
ausgestreckten linken Hand an der Mauer ab, um auf der abschüssigen Treppe nicht das Gleichgewicht zu verlieren und ebenfalls zu
stürzen, und lief hinunter, so rasch er nur konnte. Neben dem verletzten Jungen ließ er sich auf die Knie fallen, drehte ihn auf den Rücken
und überzeugte sich mit einem eiligen Blick davon, dass er zumindest keine äußerlichen Verletzungen davongetragen hatte. Dann hob
er den Kopf und sah sich in dem großen Raum um, in den die Treppe
mündete.
Er war annähernd so groß wie der Durchmesser des Turmes, doch
anders als dieser war er keineswegs mit Unrat oder Trümmern gefüllt. Das rote Licht, dessen Schein ihn dorthin geführt hatte, stammte von den Flammen eines gewaltigen, prasselnden Kamins, der nahezu die gesamte gegenüberliegende Wand des Kellers einnahm. So
pompös wie dieser Kamin war auch die restliche Einrichtung: Es gab
einen riesigen Tisch, an dem sich das gute Dutzend hochlehniger, mit
kunstvollen Schnitzereien verzierter Stühle etwas verloren ausnahm.
Daneben stand ein Albtraum von einem Bett, in dem sechs, sieben
Schläfer bequem Platz gefunden hätten. Die barbarischen Schnitzereien zeigten die grässlichsten Dämonenfratzen und Teufelsgestalten,
die man sich vorstellen konnte. Andrej registrierte all dies mit einem
flüchtigen Blick.
Dann setzte sein Herz vor Schreck einen Schlag lang aus und arbeitete anschließend so mühsam

Weitere Kostenlose Bücher