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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weiter, als hätte sich sein Blut unversehens in geschmolzenen Teer verwandelt. Eine unsichtbare Hand
schien sich in seine Kopfhaut zu krallen und sie langsam zusammenzuziehen. Seine Augen quollen vor Entsetzen schier aus den Höhlen,
als er die unförmige, aufgedunsene Kreatur erblickte, die in einem
Stuhl am Kopfende des monströsen Tisches saß und ihn aus sechs
Augen anstarrte.
Dann verging die grausame Illusion und er erkannte, wer wirklich
dort saß.
»Maria?«, krächzte er ungläubig. Er blinzelte. Marias Gestalt
schien zu verschwimmen, aber das lag bloß an den Tränen, die plötzlich seine Augen füllten. Das lähmende Entsetzen, das ihn ergriffen
hatte, wurde schlimmer. Wie hatten ihm seine Sinne einen so grausamen Streich spielen können?
Maria wollte etwas sagen. Sie brachte jedoch nur ein halblautes
Keuchen hervor, sank nach vorne und stützte sich mit den Händen an
der Tischkante ab, um nicht vom Stuhl zu fallen. Andrej glaubte
kurz, ein zweites Paar schattenhafter Arme zu erkennen, die nicht in
menschlichen Händen endeten, aber auch diese höllische Vision verging wieder. Seine Sinne spielten ihm wahrhaft üble Streiche - ein
Teil von ihm schien es darauf angelegt zu haben, ihn in den Wahnsinn zu treiben.
Andrej sprang auf die Füße und eilte um den großen Tisch herum,
so schnell er konnte. Maria wankte immer noch in ihrem Stuhl. Ihre
Kraft schien kaum auszureichen, um sich aufrechtzuhalten. Als sie
mühsam den Kopf hob und ihn ansah, las er einen so quälenden
Schmerz in ihren Augen, dass er ihn selbst spüren konnte. Es war, als
bohre sich ein glühender Dolch in seine Brust, der sich langsam, aber
unbarmherzig und unaufhaltsam in sein Herz grub. Marias Kräfte
verließen sie bald endgültig und sie begann, langsam vom Stuhl zu
kippen. Andrej schrie auf, war mit einem Satz bei ihr und erreichte
sie gerade noch rechtzeitig, um sie aufzufangen, als sie haltlos nach
vorn kippte. Trotzdem schlug ihr Gesicht hart auf der Tischkante auf,
ihr Körper schien so schwer zu sein, dass Andrej all seine Kraft
brauchte, um sie zu halten.
»Maria!«, schrie er. »Was ist mit dir? So rede doch!«
Maria brachte nur ein unartikuliertes Stöhnen zu Stande. Sie hob
zitternd einen Arm und hielt sich mit der Hand an der Tischkante
fest, sodass ihr Gewicht ihn wenigstens nicht mehr zu Boden zu reißen drohte. So behutsam, wie es ihm möglich war, drehte er sie auf
den Rücken und ließ sie langsam zu Boden gleiten. Ihr Kleid aus
rotem Brokat verursachte ein raschelndes Geräusch auf dem Steinboden.
»Maria! Was ist passiert? Sag doch etwas!«
Maria versuchte wieder zu sprechen. Ihre Lippen formten sonderbar
zischende Laute, aber Andrej glaubte, zumindest die Worte »Feuer«
und »Elenja« zu verstehen.
»Das Feuer?«, fragte er. »Was ist damit? Was ist mit dem Mädchen?!«
Hinter ihm ertönten Schritte. Stanik hatte sich erhoben und kam
schwankend näher. Andrejs Blick blieb unverwandt auf Marias
schmerzverzerrtes Gesicht gerichtet.
»Was ist hier passiert?«, fragte er mit leiser, eindringlicher Stimme.
Obwohl er nicht sicher war, ob er ihr damit nicht neue Pein bereitete,
packte er Maria bei den Schultern und schüttelte sie heftig. »War
Blanche hier? Hat er dir das angetan?«
Maria schien seine Worte verstanden zu haben, denn sie schüttelte
mühsam den Kopf.
»Das Feuer…«, stöhnte sie. »Ich wollte es… löschen… Aber es
war zu…« Wieder versagte ihre Stimme, aber als Andrej sich besorgt
über sie beugte, sah er, dass ihr Blick sich allmählich zu klären begann. Sie kämpfte gegen den grauenhaften Schmerz an, aber Andrej
begriff, dass sie diesen Kampf verlieren würde. Was immer ihr widerfahren war, die Verletzungen waren zu schwer. Er konnte spüren,
wie das Leben aus ihr herausfloss. Sie starb.
Verzweiflung begann sich in ihm auszubreiten.
Nach allem, was er erlebt und durchlitten hatte, nach all der Zeit,
die er nach ihr gesucht und auf sie gewartet hatte, drohte sie nun unter seinen Händen zu sterben, ohne dass er etwas dagegen tun konnte
oder auch nur wusste, warum.
Das durfte nicht geschehen!
Andrej zögerte nur kurz, als gebe es da trotz allem noch etwas in
ihm, das ihn von diesem verzweifelten Schritt zurückzuhalten versuchte, aber er hatte keine Wahl: Zitternd hob er den Dolch, den er
noch immer in der verkrampften rechten Hand hielt, zog ihn mit einer entschlossenen Bewegung über sein linkes Handgelenk und
beugte sich vor, als ein dicker, pulsierender

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