Die Blutgraefin
letzte Mal gesehen?«, fragte Andrej.
»Vor vielleicht sieben Monaten. An das genaue Datum erinnere ich
mich nicht. Aber es war drei Tage nach Neumond.«
»Danach habe ich nicht gefragt«, wandte Andrej ein.
»Doch, das habt Ihr«, behauptete der Wirt. »Ihr habt es nur nicht
laut getan.« Er schüttelte den Kopf und sah Andrej vorwurfsvoll an.
»Ihr habt mit Ulric gesprochen.«
Andrej sagte nichts. Nach einer Weile drehte sich der Wirt wortlos
um und ging.
Es verging nicht allzu viel Zeit, bis sich der Schankraum zu füllen
begann. Nach und nach - immer in Zweier-, oder Dreiergruppen und
fest in mehr oder weniger schäbige Mäntel gehüllt - traf ein gutes
Dutzend Gäste ein, die Andrej mit unverhohlener Neugier musterten,
ohne dass auch nur einer das Wort an ihn richtete. Schließlich kehrte
auch Abu Dun zurück. Wie angekündigt, kam er nicht allein, sondern
in Begleitung eines dunkelhaarigen Mannes, der kaum weniger groß
war als er selbst, und unter dessen Mantel eine grobe Mönchskutte
zum Vorschein kam.
Obwohl das Gasthaus bald gut gefüllt war, saß Andrej noch immer
allein am Feuer. Auch wenn Abu Dun mit seiner Behauptung Recht
zu haben schien, dass die Menschen hier Fremden gegenüber ungewohnt freundlich waren, so ging ihr Vertrauen offensichtlich nicht so
weit, sich zu einem bewaffneten Fremden an den Tisch zu setzen, der
mitten in einem Schneesturm aus dem Nichts aufgetaucht war.
Abu Dun nahm geräuschvoll Platz und streckte sogleich die Hand
nach dem Weinkrug aus. Auch sein Begleiter zog sich einen Stuhl
heran und beugte sich vor, um fröstelnd die Hände über den Flammen im Kamin aneinander zu reiben. Abu Dun stellte ihn als Pater
Lorenz vor.
»Ihr seid also Andrej Delãny«, sagte der Geistliche, während er
gleichzeitig dem Wirt winkte, ihm einen Becher zu bringen. »Ein
ungewöhnlicher Name. Woher stammt Ihr?«
»Aus Siebenbürgen«, antwortete Andrej. »Aber das ist lange her.
Abu Dun und ich sind seit vielen Jahren auf Reisen.«
»Also ist die ganze Welt Eure Heimat«, sagte Lorenz. Er hatte ein
gutmütiges, tiefes Lachen, das Andrej sofort für ihn einnahm. »Aber
gut. Es steht mir nicht zu, Euch Fragen zu stellen. Euer Freund aus
dem Morgenland sagt, dass Ihr Erkundigungen über Gräfin Berthold
einziehen möchtet. Ist sie eine Bekannte von Euch?«
»Nicht direkt«, entgegnete Andrej. »Und eigentlich interessiere ich
mich auch eher für die Mädchen, die in ihren Diensten stehen.«
»Ihr seid wohl auf Brautschau?«, fragte Lorenz mit gutmütigem
Spott.
»Er hat sich auch nach Lisa erkundigt.« Der Wirt lud ein Tablett
auf dem Tisch ab und reichte Lorenz einen dampfenden Becher.
Nachdem der Geistliche ihn mit spitzen Fingern entgegengenommen
hatte, fügte er hinzu: »Sie haben mit Ulric gesprochen.«
Lorenz trank einen Schluck von der dampfend heißen Flüssigkeit
und nickte. »Ich verstehe.«
»Das freut mich!«, sagte Andrej gereizt.
Lorenz hob besänftigend die freie Hand. Die Gespräche an den Nebentischen waren leiser geworden, und Andrej verspürte das unangenehme Gefühl, sich plötzlich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu befinden.
»Was hat er Euch erzählt?«, fragte Lorenz.
»Wer?«
»Ulric.« Der Geistliche deutete auf Abu Dun. »Euer Freund sagte
mir, dass er versucht hat, Euch in seine Dienste zu nehmen.«
Das kam der Wahrheit nahe genug, dass Andrej mit einem zögerlichen Nicken reagierte. Die letzten Gespräche in der Gaststube verstummten.
»Er hat Euch zweifellos eine Geschichte von verschwundenen
Mädchen und sonderbaren Todesfällen erzählt, die angefangen haben, als die Gräfin und ihr Beschützer auf das Schloss gezogen sind«,
fuhr Lorenz fort, während er einen weiteren Schluck trank, Andrej
über den Rand des Bechers hinweg aber aufmerksam im Auge behielt.
»Von Todesfällen hat er nichts gesagt«, erwiderte Andrej.
»Es gab sie.« Lorenz nickte. »Aber glaubt mir, Andrej, Gräfin
Berthold hat nichts damit zu tun.«
»Wie könnt Ihr da so sicher sein?«, fragte Andrej.
»Ihr habt doch mit Thomas gesprochen.« Lorenz deutete auf den
Wirt, der zwei Schritte von ihnen entfernt stehen geblieben war und
ihrem Gespräch lauschte. »Lisa ist wohlauf und erfreut sich bester
Gesundheit. Dasselbe gilt für meine Nichte. Auch sie hat einen Monat lang für Gräfin Berthold gearbeitet, und ich kann Euch versichern, dass es ihr ebenfalls gut geht.«
»Kann ich mit ihr reden?«, fragte Andrej.
»Nicht im Augenblick«, entgegnete Lorenz.
»Weil
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