Die Blutgraefin
hierher«, vermutete Andrej.
Diesmal antwortete der Wirt mit einem flüchtigen Grinsen, das ihn
fast sympathisch aussehen ließ. »Ihr seid ein kluger Mann.«
»So klug nun auch wieder nicht«, sagte Andrej. »Sonst wäre ich
nicht hier gelandet.«
Der Wirt lächelte wieder, griff unter seine Theke und zog einen
sauberen Becher hervor. Ohne ein weiteres Wort kam er um die Theke herum, stellte ihn neben Andrej auf den Tisch und schenkte ihm
ein. »Nehmt ruhig«, sagte er. »Glühwein ist das einzig Wahre bei
diesem Wetter. Er ist gut. Ich trinke ihn selbst.«
Andrej war nicht sicher, ob diese Aussage dazu geeignet war, ihn
zu beruhigen, aber der Wirt hatte Recht. Der Wein war ausgezeichnet. Schon die ersten Schlucke bewirkten, was dem qualmenden Feuer nicht gelungen war: Sie vertrieben die eisige Kälte aus seinem
Inneren.
»Danke«, sagte er. »Das tut gut.«
»Ihr könnt auch etwas anderes zu essen haben«, schlug der Wirt
vor. Er wies mit dem Kopf auf die beiden leeren Teller. »Um ehrlich
zu sein - das würde ich auch nicht essen.«
»Warum serviert Ihr es dann?«, fragte Andrej.
»Es war für die Schweine gedacht«, bekannte der Wirt freimütig.
»Aber Euer Freund war der Meinung, es wäre noch gut.«
Andrej zog eine Grimasse. »Ich wusste nicht, dass wir so pleite
sind.«
Der Wirt lachte und zog einen Stuhl heran, um sich rittlings darauf
niederzulassen. »Was sucht Ihr hier?«, fragte er.
»Wir sind nur auf der Durchreise«, antwortete Andrej. »Abu Dun
und ich waren in Wien.«
»In Wien? Dann habt Ihr die Belagerung mitgemacht?«
Wenigstens fragt er nicht, auf welcher Seite wir gekämpft haben,
dachte Andrej spöttisch. »Wir haben sie beendet«, erwiderte er. Der
Wirt zog die Augenbrauen hoch, und Andrej fügte hinzu: »Zumindest haben wir es versucht. In Wahrheit war es wohl eher der frühe
Wintereinbruch, der die Türken verjagt hat.«
»Ja«, seufzte der Wirt. »Jetzt bringt uns statt der Türken die Kälte
um. Und Ihr seid nun schwer beladen mit Beute auf dem Weg nach
Norden, um den Winter dort in Saus und Braus zu verbringen?«
»Wir waren unterwegs nach Prag.«
»Nach Prag? Dann seid Ihr aber ein gehöriges Stück vom Weg abgekommen.«
Andrej trank einen weiteren Schluck Wein. Er war stärker, als er
erwartet hatte, aber die Wärme tat ungemein wohl. »Wir sind… auf
der Suche nach jemandem«, antwortete er ausweichend. »Einer
Frau.«
»Habt Ihr sie gefunden?«
Andrejs Blick fragte deutlich: Was gebt dich das an?, sodass der
Mann gar nicht erst auf Antwort wartete, sondern unsicher wieder
aufstand. »Es hätte mich auch gewundert«, bemerkte er. »Wie ich
schon sagte. Niemand, der die Wahl hat, kommt freiwillig hierher.
Schon gar nicht im Winter.«
»Jemand hat es anscheinend doch getan«, wandte Andrej ein. »Ich
habe gehört, ihr habt einen noblen Gast, oben im alten Schloss.«
»Gräfin Berthold«, bestätigte der Wirt. »Sie ist ein Segen für uns.«
»Wieso?«
»Sie bringt uns Arbeit. Im nächsten Frühjahr lässt sie das Schloss
instand setzen, und etliche Mädchen aus dem Dorf sind schon in ihre
Dienste getreten und haben ihr Glück gemacht.«
»Ihr Glück?«
»Meine eigene Tochter war die Erste, die als Zofe auf dem Schloss
gearbeitet hat«, sagte der Wirt mit unüberhörbarem Stolz in der
Stimme.
»Eure Tochter?«, vergewisserte sich Andrej.
»Wir fühlten uns sehr geehrt, dass sie Lisa ausgewählt hat. Und sie
hat großzügig bezahlt. Wir konnten das Geld gut gebrauchen. Die
Zeiten sind schlecht. Der Krieg hat uns zwar bisher verschont, aber
wir leiden dennoch darunter. Hier sind niemals viele Fremde hergekommen, aber seit die Türken das Land verwüsten, werden es immer
weniger… Um ehrlich zu sein, seid Ihr die ersten Gäste seit drei Monaten.«
»Und leider keine zahlungskräftigen«, lächelte Andrej. »Eure Tochter, Lisa, wäre es möglich, mit ihr zu sprechen?«
»Wenn Ihr Eure Reise fortsetzt und tatsächlich nach Prag geht, vielleicht«, antwortete der Wirt.
»Prag?«
»Nicht direkt Prag. Ein Schloss, eine halbe Tagesreise westlich. Sie
ist jetzt dort. Gräfin Berthold hat ihr ein Empfehlungsschreiben mitgegeben, und sie hat sofort eine Anstellung bekommen.«
»Und da seid Ihr sicher?«, fragte Andrej. »Ich meine: Wart Ihr jemals dort, wo sie arbeitet?«
»Ich bin hier geboren und habe diesen Ort nie verlassen«, erwiderte
der Wirt. »Aber sie schickt uns regelmäßig, was sie von ihrem Lohn
erübrigen kann.«
»Wann genau habt Ihr Eure Tochter das
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