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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der mit der
Schreckensnachricht hereingekommen war. »Die anderen konnte ich
nicht erkennen, aber ich glaube, es sind alle seine Knechte.«
Seine Worte waren nur mit Mühe zu verstehen. Die Kälte hatte seine Lippen so taub werden lassen, dass er kaum noch verständlich
reden konnte.
»Wo hast du sie gefunden?«, wollte Lorenz wissen.
»Oben an der Wegkreuzung«, nuschelte der Mann. »Nicht weit von
hier. Bei der Marienstatue.« Seine Stimme versagte endgültig ihren
Dienst. Andrej tauschte einen fragenden Blick mit Abu Dun. Der
Nubier wirkte genauso verwirrt wie Andrej. Er wusste nicht, wo die
Wegkreuzung war, von der der Mann sprach - aber es war ganz gewiss nicht der Platz, an dem Abu Dun und er die Leichen gefunden
hatten und auf Ulric und dessen Söhne gestoßen waren.
»Bringt sie ins Haus«, befahl Lorenz.
Der Wirt protestierte schwach, was die Männer aber gar nicht zur
Kenntnis nahmen. So schnell, wie es die in bizarren Haltungen gefrorenen Körper zuließen, trugen die Männer die Leichen ins Haus und
legten sie vor dem Kamin auf den Boden. Der Widerspruch des Wirtes wurde lauter, als Lorenz kurzerhand den Tisch leer fegte und die
Männer anwies, den Leichnam des alten Bauern darauf zu legen.
Andrej zog sich unauffällig ein kleines Stück zurück, blieb dem
Kamin aber so nahe wie möglich. Auf seinem Gesicht prickelte es
immer noch wie von tausend Nadelstichen. Schon die wenigen Augenblicke, die er vor der Tür verbracht hatte, hatten ausgereicht, um
seine Hände so kalt werden zu lassen, dass ihn jede Bewegung
schmerzte. Er verstand nicht, wieso sein Körper so empfindlich auf
die Kälte reagierte.
»Bringt ein Tuch«, sagte Lorenz. »Irgendetwas, um ihn abzuwischen.« Er schlug das Kreuzzeichen über Stirn und Brust. »In Gottes
Namen, was hat man diesen Menschen angetan?«
»Ich würde sagen, jemand hat sie umgebracht«, sagte Abu Dun trocken.
Pater Lorenz warf ihm einen zornigen Blick zu. »Auch wenn Ihr
nicht an unseren Gott glaubt, Heide«, sagte er vorwurfsvoll, »so solltet Ihr doch wenigstens den Toten Respekt erweisen.« Er wandte sich
wieder dem verkrümmten Leichnam zu, und sein Gesichtsausdruck
änderte sich. »Außerdem wurden sie nicht einfach umgebracht«, fügte er mit leiser, erschütterter Stimme hinzu. »Gott im Himmel, welches Ungeheuer tut so etwas?«
Andrej musste sich dazu zwingen, den Toten anzusehen. Der Anblick einer Leiche hätte ihm nichts ausmachen sollen. Er war ein
Krieger und hatte schon vor einem Menschenalter aufgehört, die Toten zu zählen, die er gesehen oder deren Leben er selbst beendet hatte. Er begriff auch nicht, was an diesen ermordeten Bauern so entsetzlich war, dass er ihren Anblick kaum ertragen konnte. Aber er
kannte die Antwort auf Lorenz’ Frage. Es war nicht das, was man
diesen Leuten angetan hatte. Es war die Absicht, die dahinter stand.
Als Andrej den Toten das erste Mal gesehen hatte, war er zum
Großteil von Schnee und Eis bedeckt gewesen. Doch während Pater
Lorenz Eis und rot verklumpten Schnee entfernte, offenbarten sich
immer neue Gräuel, die man dem Mann angetan hatte.
»Wer ist das?«, fragte Abu Dun. Andrej warf ihm einen überraschten Blick zu, den Abu Dun ignorierte.
»Niklas«, antwortete Lorenz, ohne in seiner traurigen Arbeit innezuhalten. »Sein Hof liegt auf der anderen Seite des Waldes. Nicht
weit von dem Ulrics entfernt.«
»Dann sind sie Nachbarn«, vermutete Abu Dun. »Und Freunde.«
»Letzteres wohl gewiss nicht«, warf einer der Männer ein.
Lorenz hob den Kopf und sah ihn strafend an. »Du sollst nicht
falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten«, sagte er. »Wir wissen
nicht, was geschehen ist.«
Dem Ausdruck auf ihren Gesichtern nach, glaubten die Männer es
sehr wohl zu wissen. Aber niemand wagte es, dem Geistlichen zu
widersprechen. Schweigend sahen sie zu, wie Lorenz den Toten nach
und nach von Eis, Schnee, Schmutz und gefrorenem Blut befreite.
Andrej zerbrach sich vergeblich den Kopf darüber, warum Abu Dun
vorgab, diese Männer noch nie gesehen zu haben. Begriff er denn
nicht, wie gefährlich das war?
»Das sind also die… unerklärlichen Todesfälle, von denen Ihr gesprochen habt?«, fragte er.
Lorenz antwortete nicht sofort. Er säuberte mit demselben Tuch,
mit dem er den Toten abgewischt hatte, seine Hände. Dann warf er es
mit angeekeltem Gesichtsausdruck in den Kamin. Es fing nicht sofort
Feuer, sondern begann nur zu zischen und heftig zu qualmen.
»Es waren bisher niemals so viele auf

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