Die Blutgraefin
spielte, aber er wusste weder
für wen noch warum.
»Ich verstehe ja, dass du Stanik und seinen Vater wieder sehen
willst«, sagte er, »aber wir können nicht bis morgen bleiben.«
»Mahumisch?«, fragte Abu Dun, schluckte den gewaltigen Bissen
herunter, den er im Mund hatte, und fragte noch einmal: »Warum
nicht?«
»Weil das Wetter möglicherweise noch schlechter wird«, antwortete Andrej, »und ich hier weg sein will, bevor wir ganz einschneien.«
»Ich schätze, wir sitzen hier sowieso vorläufig fest«, behauptete
Abu Dun mit vollem Mund und sichtlichem Vergnügen. »Der nächste Gasthof ist zwei Tagesritte entfernt. Wir würden erfrieren, bevor
wir dort sind.«
»Du bist verrückt, wenn du glaubst, dass ich in diesem Kaff überwintere.«
»Nur ein paar Tage«, beruhigte ihn Abu Dun. »Das Wetter wird
sich bald bessern.«
»Was du zweifellos in deinen alten Knochen spürst«, vermutete
Andrej säuerlich.
»Und Ulric ebenso zweifellos bald in seinen nicht ganz so alten
Knochen«, scherzte Abu Dun. Dann wurde er wieder ernst. »Wieso
hast du es plötzlich so eilig, von hier wegzukommen? Gestern Abend
warst du doch noch ganz versessen darauf, Jagd auf einen Herrn in
Weiß zu machen.«
»Das war gestern«, antwortete Andrej kurz angebunden.
Abu Dun hob fragend die linke Augenbraue und aß dann mit ungezügeltem Appetit weiter.
Andrej schwieg. Abu Duns Frage war ihm unangenehm. Der Nubier hatte vollkommen Recht: Es war ganz und gar nicht seine Art,
vor einer Gefahr oder einem Feind davonzulaufen. Aber das war, bevor sie an jenem schrecklichen Ort gewesen waren. Was Angst
war, wusste Andrej seit seiner Kindheit. Gestern Nacht jedoch hatte
er zum ersten Mal wahre Todesangst verspürt.
Er sah wortlos zu, wie Abu Dun aß. Als er fertig war, ließ sich der
Nubier zurücksinken, fuhr sich genießerisch mit der Zunge über die
Lippen und schlug sich mit der flachen Hand auf den Bauch.
»Du hast vergessen zu rülpsen«, bemerkte Andrej kühl.
Abu Dun erfüllte ihm seinen Wunsch, und Andrej fuhr mit einem
frostigen Lächeln fort: »Ersparst du uns wenigstens alle weiteren
Verdauungsgeräusche?«
»Ungern«, antwortete Abu Dun. »So etwas ist ungesund, weißt du?
Aber ich muss ohnehin an die frische Luft. Ich habe eine Verabredung.«
»Mit wem?«
»So etwas fragt man nicht«, entgegnete Abu Dun. Er drohte spielerisch mit dem Finger. »Aber wenn du es unbedingt wissen willst: Die
Kirche ist gleich aus. Ich treffe mich mit dem Pater.«
»Du?« Andrej legte den Kopf schräg. »Willst du zum Christentum
konvertieren?«
»Das käme darauf an, was euer Papst zahlt, um einen so gewaltigen
Krieger wie mich in seine Dienste nehmen zu können«, antwortete
Abu Dun lächelnd. »Nein. Wie es der Zufall will, ist seine Nichte
eines der Mädchen, die angeblich verschwunden sind, nachdem sie
eine Anstellung auf dem Schloss gefunden hatten.«
»Angeblich?«
»Ich bringe ihn mit hierher«, antwortete Abu Dun. »Das heißt, falls
ihm sein Amt gestattet, einen solchen Ort der Sünde und des Lasters
zu betreten.«
Er ging, bevor Andrej Gelegenheit zu einer weiteren Frage hatte.
Der Wind fegte einen Schwall eisiger Kälte und pulverfeinen
Schnees herein, wie um Abu Duns Einschätzung ihrer Lage zu unterstreichen. Andrej sah, dass das Schneetreiben in der Tat dichter
geworden war. Die Häuser auf der anderen Seite der schmalen Straße
waren kaum noch zu erkennen. Er zog den Mantel enger um die
Schultern und rückte mit seinem Stuhl an das Feuer heran.
»Kann ich Euch noch etwas bringen, Herr?«, fragte der Wirt hinter
seiner Theke hervor.
Andrejs erster Impuls war, entsetzt den Kopf zu schütteln. Aber
dann besann er sich eines Besseren. Er hatte Hunger, wenn auch
nicht auf das, was Abu Dun gerade gegessen hatte. Möglicherweise
ergab sich ja auch die Gelegenheit, mit dem Mann ins Gespräch zu
kommen.
»Vielleicht ein… Stück Brot«, sagte er zögernd. »Für mehr…«
»… reicht Euer Geld nicht?« Der Wirt winkte ab. »Macht Euch
darum keine Sorgen. Euer Freund hat schon alles erledigt. Heute
Nacht werdet Ihr in einem richtigen Bett schlafen.«
»Abu Dun?«, entfuhr es Andrej überrascht. Lag ihm der Nubier
nicht seit Wochen damit in den Ohren, dass ihre Geldmittel so gut
wie aufgezehrt waren?
»Das hier ist kein teures Gasthaus«, antwortete der Wirt. »Niemand, der sich hierher verirrt, kann sich ein teures Gasthaus leisten.«
»Und wer sich ein teures Gasthaus leisten kann, der verirrt sich
nicht
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