Die Blutgraefin
nicht«, gestand Elenja unsicher. »Es klingt sicher albern,
aber sie macht mir Angst.« Sie versuchte zu lachen, doch es misslang.
Sie ritten weiter. Elenja hatte Recht gehabt. Es war nicht mehr weit.
Die Pferde mühten sich noch einige hundert Schritte durch den tiefen
Schnee, dann lag das Schloss plötzlich vor ihnen.
Andrej hielt abermals an. »Was hast du?«, fragte Elenja. Sie klang
beunruhigt und konnte einen raschen, nervösen Blick hinauf in den
Himmel nicht unterdrücken.
»Nichts«, antwortete Andrej. Er versuchte, aufmunternd zu lächeln,
und schwang sich aus dem Sattel. Elenja blickte ihn fragend an. Andrej ging um sein Pferd herum, reichte dem Mädchen die Zügel und
wies mit der anderen Hand auf das Tor. »Reite schon vor. Du kannst
der Gräfin ausrichten, dass ich sofort nachkomme.« Er lächelte.
»Vielleicht machst du auch schon mal etwas von dem köstlichen
Glühwein warm, den ich gestern hatte. Ich bin halb erfroren.«
»Aber was…?«
»Ich will etwas überprüfen«, schnitt ihr Andrej das Wort ab. »Geh
jetzt.«
Die letzten Worte hatte er eine Spur schärfer ausgesprochen, nicht
mehr im Tonfall einer Bitte, und sie zeigten Wirkung. Elenja sah ihn
verunsichert an, ergriff dann aber die Zügel seines Pferdes und ritt
weiter.
Andrej blieb reglos stehen, bis sie das Tor erreicht hatte und dahinter verschwunden war. Dann drehte er sich um und lief ein kleines
Stück den Weg zurück, den sie gerade gekommen waren. Als er sicher war, vom Schloss aus nicht mehr gesehen werden zu können,
drang er nach links in den Wald ein. Gerade so tief im Schutz des
dichten Unterholzes, dass er nicht Gefahr lief, das Schloss ganz aus
dem Blick zu verlieren und sich zu verirren, schritt er halb um das
große Anwesen herum und trat auf seiner Rückseite wieder aus dem
Wald hervor. Er hatte noch keine überzeugende Erklärung, falls Maria ihn fragen sollte, wo er gewesen war, aber darüber würde er später nachdenken. Die Eule war in dieser Richtung verschwunden. Er
musste herausfinden, was es mit diesem Tier auf sich hatte.
Andrej warf einen sichernden Blick in die Runde, dann huschte er
geduckt zur Rückseite des Hofs. Die Mauer war ursprünglich über
zwei Meter hoch gewesen, nun aber nur noch teilweise intakt, sodass
er ohne Schwierigkeiten darüber hinwegklettern konnte. Dahinter lag
die Rückseite des Stalles. Andrej glaubte, Stimmen zu hören - vielleicht Elenja und Blanche, die die Pferde zurückbrachten - und duckte sich hinter das Gewirr aus verkohlten Balken und Schutt, das sich
da erhob, wo einmal das hintere Drittel des Stalls gestanden haben
mochte. Mit klopfendem Herzen lauschte er, bis die Geräusche aus
dem Inneren des Gebäudes verklungen waren. Sicherheitshalber wartete er noch einmal eine Weile ab, bevor er sich wieder aufrichtete
und so leise wie möglich in das zerstörte Gebäude eindrang.
Drinnen war es dunkel, obwohl gut die Hälfte des Daches fehlte,
und der stehen gebliebene Rest kaum mehr war als ein Skelett aus
verkohlten Balken und einigen schwarz verbrannten Schieferplatten.
Was Andrej umgab, war kaum mehr als ein grauer Schimmer, fast
so, als bewege er sich durch dichten Nebel, der dem Licht die Fähigkeit nahm, die Dinge zu enthüllen. Der ihm inzwischen wohl vertraute sonderbare Geruch lag in der Luft, der zugleich aber auch immer
fremdartiger und beunruhigender zu werden schien. Rings um ihn
herum entdeckte er ein Gewirr aus verbrannten Trümmern und zerborstenem Holz. Unter dem Schnee, der auch hier knöcheltief den
Boden bedeckte, knirschte und knisterte es, als bewege er sich über
einen Teppich aus Glasscherben. Irgendetwas streifte sein Gesicht.
Andrej wischte es instinktiv weg, bemerkte aus den Augenwinkeln
eine Bewegung und griff erschrocken zum Schwert, bevor er sah,
dass es lediglich ein Schleier aus feinem Pulverschnee war, der im
Wind tanzte. Unruhiger, als er sich selbst eingestehen wollte, nahm
er die Hand wieder vom Schwert und schlich vorsichtig weiter.
Der sonderbare Geruch wurde stärker und entwickelte sich zum
Gestank. Andrej bewegte sich zwei weitere Schritte, blieb wieder
stehen und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung er kam,
wenn er schon nicht sagen konnte, wodurch er verursacht wurde.
Nicht einmal das gelang ihm.
Entmutigt ging er weiter, duckte sich unter einem halb zusammengebrochenen Türsturz hindurch und fand sich unversehens auf der
anderen Seite des großen Raumes wieder, in dem er am Morgen sein
halb
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