Die Blutgraefin
ganz und gar nicht gefällt«,
fuhr Abu Dun fort, als ihm klar wurde, dass er keine Antwort bekommen würde. Er schaute auf die in Tücher eingewickelten Leichen. »Du weißt, wer diese Männer getötet hat. Und wie. Willst du
abwarten, bis irgendjemand hier herausfindet, wer wir sind, und sie
uns die Schuld in die Schuhe schieben?« Er schüttelte mit einem
trotzigen Schnauben den Kopf. »Ich für meinen Teil jedenfalls nicht.
Ich werde herausfinden, was hier vorgeht, und den Leuten den wahren Schuldigen präsentieren.«
»Weil du plötzlich deinen Sinn für Gerechtigkeit entdeckt hast?«,
fragte Andrej höhnisch.
Abu Dun schüttelte abermals den Kopf. »Nein«, antwortete er.
»Und ich weiß auch, dass wir nicht hier bleiben können. Aber ich
möchte einmal einen Ort in aller Ruhe verlassen, ohne fliehen zu
müssen und ohne zu wissen, dass ich nie wieder dorthin zurückkehren kann.« Er schien auf eine Bestätigung zu warten und seufzte leise, als er sie nicht bekam. »Also gut«, fuhr er fort. »Ich bringe das
Mädchen jetzt zurück zum Schloss, und dann…«
»Nein!«, sagte Andrej. »Das tust du nicht.«
Abu Dun hob fragend die linke Augenbraue.
»Ich bringe sie zurück«, sagte Andrej. »Du hast Recht. Wir sollten
herausfinden, was hier wirklich vorgeht. Bleib du bei Ulric und seinen Söhnen, und ich kümmere mich um Blanche.«
»Das gefällt mir gar nicht«, beharrte Abu Dun. »Ich habe sie abgeholt, und ich halte es für besser, wenn ich sie auch wieder zurückbringe.«
»Du warst auf dem Schloss?«
»Auf halbem Wege dorthin«, antwortete der Nubier. »Ich wollte
das Mädchen holen, damit jedermann hier sieht, dass sie noch am
Leben und unversehrt ist, aber jemand auf dem Schloss muss wohl
auf die gleiche Idee gekommen sein. Sie kam mir auf halbem Wege
entgegen. Blanche war bei ihr, doch als er mich gesehen hat, hat er
kehrtgemacht und ist verschwunden.«
»Zweifellos, weil er Angst vor dir hatte«, spottete Andrej.
»Aus welchem Grund wohl sonst?«, gab Abu Dun selbstbewusst
zurück. »Ich bin nicht gerade begierig darauf, ihm zu begegnen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Also, wenn du darauf bestehst…«
»Vielleicht kannst du ja später nachkommen«, schlug Andrej vor.
»Ich bin sicher, Maria würde sich freuen, dich wieder zu sehen.«
»Ja, vielleicht«, sagte Abu Dun. Aber es klang nicht so, als ob er
diese Worte ernst meinte.
Pater Lorenz hatte nicht nur Elenjas Wunden versorgt und neu verbunden, sondern auch darauf bestanden, dass sie sich eine Weile ausruhte und noch eine kräftige Mahlzeit zu sich nahm, bevor sie sich
auf den Rückweg zum Schloss machten. Das Mädchen hatte nur
schwach dagegen protestiert, sich aber dann doch nicht zweimal bitten lassen und die Speisen, die der Geistliche auftrug, in einer Geschwindigkeit und mit einem Heißhunger heruntergeschlungen, die
nicht nur den Pater in Erstaunen versetzten. Auch Andrej wunderte
sich. Er erinnerte sich noch gut an die von Lebensmitteln überquellende Küche, in der das Mädchen arbeitete, und er kannte Maria gut
genug, um zu wissen, dass bei ihr gewiss kein Bediensteter Hunger
leiden musste. Dann erinnerte er sich aber auch daran, wie hungrig er
selbst gewesen war, als er am Morgen im Gasthof eintraf, trotz des
Festmahls, das Maria und er zuvor zu sich genommen hatten.
Nachdem ihm Pater Lorenz das feierliche Versprechen abgenommen hatte, gut auf das Mädchen aufzupassen und es unversehrt an
Maria zu übergeben, holte er sein Pferd und die klapprige Mähre, auf
der Elenja gekommen war. Er lieh sich von Pater Lorenz einen warmen Mantel aus, den er dem Mädchen um die Schultern legte, dann
brachen sie auf.
Sie mussten Fahlendorf einmal zur Gänze durchqueren. Andrej war
nicht überrascht, wieder keinen Menschen auf der Straße zu sehen,
obwohl der Sturm nachgelassen hatte und es kaum noch schneite.
Dafür spürte er versteckte, misstrauische Blicke. Auch Elenja atmete
sichtbar erleichtert auf, als sie schließlich das letzte Gebäude hinter
sich gelassen hatten und vor ihnen nur noch der verschneite Wald
lag.
Elenja im Auge zu behalten war nicht der einzige Grund, aus dem
er zwar neben ihr, zugleich aber auch ein kleines Stück hinter ihr ritt,
womit er ihr, ohne dass sie es bemerkte, die Führung überließ. So
schwer es ihm am Morgen gefallen war, Fahlendorf zu finden, so
wenig hätte er nun gewusst, wie er zu dem Schloss zurückkam. Andrej gestattete sich nicht, mehr als einen flüchtigen Gedanken an dieses
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