Die Blutgraefin
erfrorenes Pferd vorgefunden hatte. Das Tier stand wieder an
seinem Platz, aber der Stall schien viel größer zu sein, als er ihn in
Erinnerung hatte. Durch das unheimliche graue Licht konnte er sein
Pferd lediglich als verzerrten Schatten wahrnehmen, der sich unruhig
vor dem Hintergrund der halb geschlossenen Tür bewegte. Es war
nur ein Pferd im Stall. Das Tier, auf dem Elenja gekommen war, war
nicht dort.
Andrej sah sich um. Sein Herz begann zu klopfen. Irgendetwas näherte sich. Das Pferd schnaubte nervös. Andrej riss seinen Blick von
den verkohlten Dachbalken los und versuchte das Tier mit Blicken
zu fixieren, aber es wollte ihm nicht gelingen. Das unheimliche Licht
verwirrte seine Sinne immer mehr und schien ihm nun auch noch den
Atem zu nehmen. Dennoch glaubte er, so etwas wie einen Schatten
zu erkennen, der lautlos auf langen, staksenden Beinen durch die
Dunkelheit glitt und sich dem Pferd näherte. Als Andrej blinzelte,
war der Schatten verschwunden.
Etwas berührte sein Gesicht, flüchtig und Ekel erregend wie eine
Spinnwebe. Andrej fuhr sich mit dem Handrücken über die Wange
und betrachtete angewidert seine Finger, die mit einer schleimigen
grauen Substanz besudelt waren. Er hob zögernd die Hand ans Gesicht und roch daran. Der unheimliche Geruch, der die Luft dort
drinnen durchtränkte, haftete eindeutig auch daran.
Andrej wischte sich die Hand am Mantel ab, legte den Kopf in den
Nacken und musterte aufmerksam das schwarze Skelett aus verbrannten Dachbalken über sich. Große, wie uralte zerrissene Segel
wirkende Spinnweben hingen von ihnen herab und bewegten sich
sacht in einem Windzug, den er nicht spürte. Vielleicht war es auch
kein Wind. Vielleicht kroch etwas über dieses Netz heran. Etwas, das
ihn aus gierigen, schwarzen Augen belauerte und gerade in diesem
Moment seine zahlreichen Beine spannte, um sich auf ihn zu stürzen
und…
Andrej wirbelte mit einer fließenden Bewegung herum, riss sein
Schwert in die Höhe und schlug mit aller Kraft zu. Mit knapper Not
schaffte er es, den Hieb im letzten Augenblick abzubrechen. Die
Klinge kam so dicht vor Marias Kehle zum Halten, dass der rasiermesserscharfe Stahl ihre Haut ritzte und ein einzelner Blutstropfen
wie eine glitzernde rote Träne an ihrem Hals hinablief.
Mit einem Satz schien sein Herz in seinen Hals hinaufzuspringen,
um dort rasend schnell weiterzuhämmern. Er taumelte zurück, als
hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen.
»Maria!«, keuchte er. »Großer Gott! Was tust du hier?«
Maria hob die Hand an die Kehle und betrachtete stirnrunzelnd den
roten Fleck, der an ihren Fingerspitzen zurückgeblieben war. »Ja«,
sagte sie lächelnd. »Ich freue mich auch, dass du wieder da bist.«
Andrejs Hände begannen so heftig zu zittern, dass er Mühe hatte,
sein Schwert festzuhalten.
»Um Himmels willen, ich hätte dich beinahe umgebracht!«, stammelte er. »Wieso schleichst du dich an mich heran?«
»Ich bin nicht geschlichen«, entgegnete Maria kühl, während sie
das Blut zwischen den Fingerspitzen zerrieb. Der winzige Schnitt an
ihrer Kehle war schon wieder verschwunden. »Und um deine Frage
zu beantworten: Ich wohne hier.«
»Nicht in diesem Stall«, antwortete Andrej. Sein Herz wollte sich
gar nicht mehr beruhigen. Großer Gott, um ein Haar hätte er sie enthauptet! Aus seinem Schrecken wurde Entsetzen, das sich wie ein
lähmendes Gift in seinen Adern auszubreiten begann. »Tu das nie
wieder«, murmelte er.
»Was?«, fragte Maria. »In meinen eigenen Stall gehen?«
»Schleich dich nie wieder an mich an«, antwortete Andrej. »Es
könnte dein Tod sein.«
»Kaum«, antwortete Maria gelassen. Sie lächelte, aber ihre Augen
wurden noch eine Spur kühler. In dem unheimlichen, alle Farben
schluckenden Licht wirkte ihr Haar beinahe grau. »Was tust du
hier?«
»Ich wollte nach den Pferden sehen«, antwortete Andrej unbeholfen.
»Das hat Blanche schon getan«, erwiderte Maria.
»Ja, aber ich traue ihm nicht«, versetzte Andrej. »Als ich ihm das
letzte Mal mein Pferd anvertraut habe, wäre es fast erfroren.«
Das misstrauische Funkeln in Marias Augen schlug in blanken Zorn
um. Sie beließ es aber bei einem wortlosen Kopfschütteln und einem
ebenso stummen Blick auf das Pferd.
»Vielleicht hast du Recht«, seufzte sie. »Blanche versteht nicht besonders viel von Pferden. Ich sage ihm, dass er sich besser um dein
Tier kümmern soll.«
»Da war noch ein zweites Pferd«, erinnerte Andrej sie. »Wo habt
ihr es
Weitere Kostenlose Bücher