Die blutige Arena
Notwendigkeiten zwangen sie, ihre Gegenwart den Reisenden zu verraten, die sich ihrer aus Mitleid annahmen. Wenn sie ein Angestellter in einer Station entdeckte und verfolgte, liefen sie von Wagen zu Wagen, oder sie kletterten auf die Dächer, wo sie warteten, bis sie außerhalb des Bahnhofes waren. Oft erwischte man sie, dann mußten sie unter Püffen und Ohrfeigen zurückbleiben, während sich der Zug wie eine verlorene Hoffnung entfernte. Doch sie warteten auf den nächsten und schliefen einstweilen unter freiem Himmel. Wenn sie sich aber beobachtet sahen, gingen sie durch einsame Felder zur nächsten Station und hofften, dort glücklicher zu sein. So kamen sie nach vieltägiger abenteuerlicher Reise, die mit manch harten Schlägen bezahlt werden mußte, in Madrid an. Dort bewunderten sie in der Sevillastraße und Puerta del Sol die Gruppen der Toreros, welche gerade ohne Engagement waren. Da sie sich über ihr Beginnendoch schon Gedanken machten und das Ziel ihrer Reise immer weiter hinausrückte, kehrten sie nach Sevilla zurück, wobei sie die Heimreise auf die gleiche Weise bewerkstelligten wie ihre Fahrt nach Madrid. Doch nun hatten sie an dieser Art zu reisen Geschmack gefunden und sie besuchten auf diese Weise alle Orte in den verschiedenen Provinzen, sobald es irgendwie hieß, daß man daselbst Stierkämpfe veranstalten wollte. Durch diese Fahrten hatten sie Gelegenheit gewonnen, ihre Schlauheit und ähnliche für diese Voraussetzungen in Betracht kommenden Fähigkeiten zu entwickeln; sie legten sich in der Nachbarschaft der Bauernhäuser auf die Erde und plünderten, gedeckt durch Hecken und Gras, die Gemüsegärten aus, ohne gesehen zu werden. Sie lauerten Stunden hindurch auf die Gelegenheit, eine Henne einzufangen und ihr den Hals umzudrehen, um sie dann später auf einem Haufen trockenen Holzes zu braten und halb roh zu verschlingen. Sie fürchteten die Hofhunde mehr als die Stiere. Es war nicht gut, mit diesen Wächtern anzubinden, sie liefen hinter ihnen her und fletschten die Zähne, als würden sie Feinde des Eigentums in ihnen wittern. Manchmal überraschten sie, wenn sie im Freien bei einer Station schliefen, um die Ankunft eines Zuges abzuwarten, einige Gendarmen, welche ihr Rundgang in diese Gegend führte. Doch beim Anblick der roten Tücher beruhigten sich die Hüter der Ordnung und sie entfernten sich lächelnd, ohne weitere Fragen zu stellen. Es waren ja keine Räuber, sondern künftige Toreros, die ihrem Berufe nachgingen. Und eine geheime Sympathie für die nationale Kunst und die Achtung vor einer noch ungekannten Zukunft waren dieBeweggründe für ihre Toleranz. Man konnte nicht wissen, ob nicht einer dieser verhungerten, zerlumpten und heruntergekommenen Burschen in wenigen Jahren ein Star werden konnte, ein großer Mann, der vor Königen auftreten und wie ein Fürst leben würde, kurz, ein Held, dessen Taten und Reden alle Zeitungen erfüllten.
Einmal blieb Juan allein in einem Städtchen von Estremadura. Zum Erstaunen des ländlichen Publikums, welches den »eigens aus Sevilla gekommenen berühmten Toreros« applaudierte, wollten die zwei Burschen einen alten Stier mit den Wurflanzen angehen. Juan plazierte seine Lanze auf dem Rücken des Stieres und blieb vor einer Tribüne stehen, wo er freudestrahlend den Beifall der Menge entgegennahm, die ihm ihre Zufriedenheit durch energische Püffe auf den Rücken und durch fleißiges Zutrinken bewies. Ein Schreckensschrei riß ihn aus diesem Taumel des Ruhmes. Chiripa war nicht mehr in der Arena, in deren Sand man nur die bunten Bänder, einen Schuh und die Mütze sah. Der Stier lief wütend vor einem Hindernis herum und war mit einem seiner Hörner in ein Bündel Kleider, das einer Puppe gleich sah, verstrickt. Nach einigen heftigen Stößen löste sich diese Gestalt von dem Horne ab und ließ einen roten Strahl zu Boden fließen, wurde aber, ehe sie die Erde erreichte, von dem anderen Horn aufgegriffen und über eine weite Strecke geschleift. Endlich fiel diese formlose Masse in den Sand und blieb dort unbeweglich inmitten einer Blutlache wie ein durchlöcherter Schlauch, der den dunkelroten Wein ausströmen läßt, liegen. Die Stallburschen trieben das Tier in den Stall und der arme Chiripa wurde auf einer Bahreweggetragen. Der andere sah sein wachsgelbes Gesicht, seine trüben Augen und den blutüberströmten Körper, der trotz aller Verbände immer wieder Blut verlor. »Leb wohl, Juan,« hauchte er, »leb wohl.« Das waren seine
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