Die blutige Arena
Tag hinein, ohne sich über Fahrpläne und Abfahrtszeiten den Kopf zu zerbrechen odermit dem Gefühle der Angst an den bevorstehenden Kampf denken zu müssen. Seine Reisen erstreckten sich von seinem Hause bis zum Kaffeehaus. Die Familie schien ihm verändert, fröhlicher und gesünder, da er nun einige Monate in ihrer Mitte blieb. Im Vorzimmer erwarteten ihn jeden Morgen zahlreiche Leute, deren Antlitz von der Sonne verbrannt war, die nach Schweiß rochen und deren Bluse Schmutzflecken aufwies, genau so wie der Hut, dessen Krempe ganz ausgefranst war. Einige waren Landarbeiter, die es auf ihrer Durchreise für selbstverständlich hielten, den berühmten Stierfechter, den sie »Señor Juan« ansprachen, in Sevilla zu begrüßen. Andere wieder waren aus der Stadt und duzten den Torero. Gallardo erkannte mit Leichtigkeit eines Mannes, der gewohnt war, vor der Menge zu stehen und sich an Gesichter zu erinnern, jeden seiner Besucher und erlaubte ihnen diese Vertraulichkeit. Es waren Schulkameraden oder Genossen seiner Vagantenjahre. Doch ehe sie in ihrer Vertraulichkeit weitergingen, wendete er sich an Garabato, der mit dem Stock in der Hand hinter ihm stand: »Sag meiner Frau, sie soll dir einige Pesetas für jeden geben«. Und pfeifend, voll Zufriedenheit mit seiner Freigebigkeit und den Annehmlichkeiten des Lebens, trat er auf die Straße. Auf der Schwelle der nächsten Schenke standen mit lächelndem Munde und bewunderndem Blicke, als hätten sie ihn noch niemals gesehen, die Gäste und Burschen des Bezirkes. »Guten Tag, meine Herren ... Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, doch ich trinke nicht.« Mit diesen Worten verabschiedete er seine Bewunderer, die mit einem Glas in der Hand an ihn herangetreten waren und ging weiter, um jedoch in der nächsten Straße wieder voneinigen alten Freundinnen seiner Mutter aufgehalten zu werden. Sie ersuchten ihn, für einen ihrer Enkel Taufpate zu sein. Er riet ihnen, sich mit seiner Mutter zu besprechen, und ging dann weiter, wobei er noch einige Vorübergehende grüßte oder mit anderen stehen blieb, welche sich dann voll Stolz aufblähten, vor den Augen aller anderen so ausgezeichnet zu werden.
Während eines solchen Spazierganges, es war an einem Freitag abends, fühlte Gallardo, als er so die Sierpesstraße hinabschlenderte, den Wunsch, in die San Lorenzokirche einzutreten. Auf dem kleinen Platz standen hintereinander zahlreiche vornehme Wagen. Die Elite der Stadt kniete an diesem Tage vor dem Gnadenbilde »Jesus del Gran Poder«. Die Damen stiegen in schwarzer Kleidung, in reicher Mantilla aus dem Wagen und die Herrenwelt beeilte sich, angelockt durch den zahlreichen Besuch der Frauen, in die Kirche einzutreten.
Gallardo tat es auch. Ein Torero muß die Gelegenheit benützen, sich mit hochgestellten Personen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Der Sohn der Frau Angustias verkostete den Stolz des Triumphators, wenn ihn die reichen Herren begrüßten und die Damen seinen Namen flüsterten, wobei sie mit ihren Augen auf ihn hinwiesen. Außerdem war er ein gläubiger. Sohn des Allmächtigen. Er duldete die Ansicht des Nacional, Gott und die Natur einander gleichzusetzen, ohne sich daran zu stoßen, denn die Gottheit war für ihn etwas Unbestimmtes, Unklares, ähnlich dem Dasein eines Herrn, über den man in aller Gelassenheit die verschiedensten Gerüchte hören kann, da man sie nur durch das Gerede derLeute kennt. Doch die Jungfrau und Jesus del Gran Poder hatte er seit frühester Jugend vor Augen gehabt und an ihnen ließ er nicht rühren.
Die weichen Regungen seines rauhen Charakters wurden durch den theatralischen Schmerz des unter dem Kreuze gebeugten Christus, durch sein schweißbedecktes, gequältes, blasses Antlitz, das ihn an das bleiche Gesicht mancher Kameraden auf ihrem Schmerzenslager erinnerte, geweckt. Er mußte sich mit dem Allmächtigen gut stellen und so murmelte er inbrünstig zahllose Gebete vor dem Gnadenbilde herunter, das durch den flackernden Schein der rotglühenden Flammen mit geheimnisvollem Leben erfüllt zu sein schien.
Eine Bewegung der vor dem Bilde knienden Frauen lenkte seine Aufmerksamkeit, die sozusagen auf ein übernatürliches Eingreifen zu Gunsten seines gefährdeten Lebens wartete, auf realere Dinge ab.
Eine Dame ging durch die Schar der Betenden, deren Augen sie auf sich zog. Es war eine große schlanke Gestalt, ihre auffallende Schönheit kam durch die hellen Farben ihrer eleganten Toilette nur noch stärker zur Geltung. Unter dem mit
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