Die blutige Arena
Kerl, doch haben sie ihm den Kopf mit diesem dummen Zeug verdreht.« Und um die Leute, welche er sozusagen als Schutzgeist seiner Zukunft ansah, zu beruhigen, überhäufte er den Banderillo mit Drohungen und Schimpfworten.
Doch der Nacional hüllte sich in verachtungsvolles Schweigen. Alles war ja nur Aberglauben, Unwissenheit: Mangel an Lesen und Schreiben. Und fest in seinen Anschauungen, mit der Einfachheit des Mannes aus dem Volke, der nur zwei oder drei Ideen kennt und sie trotz aller Widerlegungennicht aufgeben will, nahm er, unbekümmert um den Zorn seines Herrn, nach kurzer Zeit die Diskussion von neuem wieder auf.
Seine freien Anschauungen begleiteten ihn sogar bis in die Arena, inmitten seiner Kameraden, welche nach ihren Gebeten in der Hauskapelle des Zirkus mit der Überzeugung hinauseilten, daß die geweihten Gegenstände, die sie an ihrem Körper trugen, sie vor jeder Gefahr beschützen würden.
Wenn ein gewaltiger Stier mit schwarzem Fell, gedrungenem Halse, in seiner Masse einem wandelnden Fleischkoloß gleichend, an die Reihe kam, mit den Wurflanzen angegangen zu werden, da stellte sich der Nacional mit erhobenen Armen und die Wurflanzen in den Händen haltend, in kurzer Entfernung vor ihm auf und rief ihm unter Schmähungen zu: »Vorwärts Pfaffe!« Und der Stier raste auf ihn zu, während der Nacional, wenn das Tier vorbeischoß, mit aller Kraft die Lanzen in den Rücken stieß und dabei laut rief, als hätte er einen Sieg erfochten: »Für die Geistlichen!«
Gallardo lachte schließlich über diese Überspanntheiten des Nacional: »Du machst mich lächerlich, man wird von der Cuadrilla sagen, daß wir alle Ketzer sind. Du weißt, daß manche es nicht gerne sehen.« Doch war er dem Nacional aufrichtig zugetan, denn er erinnerte sich an seine Anhänglichkeit, welche manchmal bis zur Selbstaufopferung gegangen war. Dem Banderillo war es ganz gleich, wenn ihn das Publikum manchmal wegen der Art und Weise, wie er bei gefährlichen Stieren seinen Lanzenwurf anbrachte, auspfiff. Er suchte keinen Ruhm, er arbeitete nur für seinen Taglohn. So oft aber Gallardo mit dem Degen in der Handgegen einen gefährlichen Stier losging, blieb der Nacional hinter ihm, bereit, ihn mit seinem schweren Mantel und seinem kräftigen Arm zu helfen. Als Gallardo schon zweimal nahe daran war, aufgespießt zu werden, da hatte sich der Banderillo, ohne an Weib und Kinder zu denken, zwischen seinen Herrn und den Stier geworfen, bereit, zu sterben, um Juan zu retten.
Wenn er abends in den Speisesaal Gallardos kam, wurde sein Eintreten wie das Kommen eines Familienmitgliedes begrüßt. Er sprach über seine häuslichen Angelegenheiten und sein Geschäft, das er vergrößern wollte. Er hätte gern einen Tabakladen gehabt, der Meister könnte ihm diesen durch seine Verbindungen wohl verschaffen, doch hinderten ihn seine Grundsätze, diesen Weg einzuschlagen. Die alte Angustias geriet über solche Rücksichten in keine kleine Entrüstung. Er hätte nur dafür zu sorgen, das er soviel als möglich für seine Familie verdiente. Doch Gallardo und Don José, welche an der anderen Seite des Tisches saßen und rauchten, hörten den Nacional gerne reden, um über seine Worte zu lachen, und sie hetzten ihn noch auf, indem sie sich über den Führer seiner Partei, Don Joselito, abfällig äußerten: Er sei ein Lügner, der sich über solche Dummköpfe wie er einer sei, nur lustig mache. Der Banderillo hörte die Scherze des Toreros und seines Vertreters ruhig an. Er sollte an seinem Führer zweifeln? Diese Zumutung konnte ihn nicht einmal reizen. Das war gerade dasselbe, wenn man sich an seinem zweiten Ideal, an Gallardo durch die Behauptung, vergriffen hätte, er könne keine Stiere töten.
Doch wenn Gallardos Schwager, der ihm eine unwiderstehliche Abneigung einflößte, an diesen Scherzen teilnahm, verlor er seine Ruhe. Wer war dieser Nimmersatt, der das Gnadenbrot seines Herrn aß und sich mit ihm einlassen wollte? So nahm er denn seine ganze Fassung zusammen, und ohne der Mutter oder der Frau des Toreros zu antworten, entwickelte er mit dem gleichen Eifer seine Ideen, als ob er vor seinen Parteigängern spreche. Mangels besserer Argumente antwortete er mit Ausfällen auf die Einwendungen jener Spaßvögel: »Die Bibel – ein Unsinn. Die Erschaffung der Welt in sechs Tagen – ebenfalls ein Unsinn. Die Geschichte von Adam und Eva – gleichfalls. Alles Lüge und Aberglaube.« Die Erzählung von Adam und Eva war für ihn der Anlaß,
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