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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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sind oben, Herr. Oben.«
    »Mit Jean?«
    »Jean? Ja, ich bin Jean. Ich habe fünf Kinder.« Er schwankte.
    »Wie viele Männer sind oben bei den Mädchen?«
    »Zwei, Herr. Jean und … Ja, Jean ist oben, ein anderer Jean. Und – einen Augenblick, Herr, dann erinnere ich mich, Jean und …« Er hustete. »Studenten, Herr. Ich kannte sie bis heute Morgen gar nicht. Bin nur für ein bisschen Frühstück hier reingekommen, Herr. Das ist alles. Ein bisschen Frühstück.«
    »Deswegen stinken deine Kleider nach Rauch?«
    »Bitte tötet mich nicht, Herr. Ich hab die Mädchen nicht mal gesehen. Bitte tötet mich nicht.«
    »Mach die Augen zu.«
    Jean gehorchte. »Jean und Ebert. Ja, Ebert. Bitte, Herr, tötet mich nicht.«
    Tannhäuser stopfte ihm den Lappen wieder in den Mund und trat einen Schritt zurück. Er holte noch einmal mit dem Schwert aus und hieb Jeans festgenagelte Hand am Handgelenk ab. Der Schlag lockerte die Pfeilspitze, entfernte sie aber nicht. Jean schnappte nach Luft und saugte den Lappen ein. Tannhäuser zog dem Mann den Pfeil samt der darauf gespießten Hand aus der Brust. Die Spitze war nicht verformt. Er schob die Hand vom Schaft und warf den Pfeil auf den Tisch. Die noch verschwitzte, heiße Hand schleuderte er durch die Tür ins Treppenhaus. Flüche ertönten von denen, die sie fallen sahen.
    Jean erstickte an dem Geschirrtuch, das er nicht herausziehen konnte. Tannhäuser schob ihn zur Tür heraus. Der Flur war so hoch, dass er weit mit dem Schwert ausholen und dem Mann mit einem dritten Schlag den Schädel spalten konnte. Er ließ das Schwert stecken und warf Jean rückwärts über das Geländer. Tannhäuser war sich nicht sicher, ob jemand es bereits gewagt hatte, einen Fuß auf die Treppe zu setzen. Wenn ja, dann würde der blutende Leichnam auf ihn fallen.
    Unten erreichte das Entsetzen einen neuen Höhepunkt. Tannhäuser hörte, wie jemand nach einer Kanone, ein anderer nach der Kavallerie rief. Wenn sie doch nur Rüstungen hätten! Wenn sie doch nur anständig ausgerüstet wären! Wenn man ihre heldenhaften Dienste nur besser schätzte! Er hörte, wie sich die Miliz auf die Straße zurückzog.
    Tannhäuser kehrte in die Küche zurück, wo der Mann mit den Äpfeln und dem Käse inzwischen gestorben war. Tannhäuser zog ihm den Dolch aus dem Brustkorb und steckte ihn wieder ins Futteral. Er schob sich zwei Äpfel ins Wams. Der Käse war mit Blut besudelt. Er rollte den Toten auf den Rücken, zerrte ihn auf den Flur und packte dann Pfeile und Bogen und das zweite Kurzschwert. Mit einem Schwerthieb nagelte er den Toten an den Flurboden. Er legte den blutigen Pfeil wieder an die Sehne und machte sich auf den Weg in den zweiten Stock.Oben an der schmalen Treppe war ein kürzerer Flur mit nur zwei Türen, die beide geschlossen waren. Hinten im Flur hing eine Falltür offen. Eine geschickt konstruierte Klappleiter, die daran befestigt war, führte auf den Speicher. Tannhäuser schaute hoch. Alles da oben war dunkel und still. Er konnte keinen Ausgang auf das Dach sehen, aber es musste einen geben.
    Er blieb bei einem großen Weidenkorb voller Wäsche stehen. Aus dem weiter entfernten Schlafzimmer, das auf die Straße hinausging, hörte er zwei Männerstimmen. Jeans Schreie und das Gebrüll im Erdgeschoss hatten sie nicht gestört; schließlich hatten sie bereits den ganzen Morgen lang Schreie und Gebrüll ignoriert. Er nahm das Gewehr von der Schulter und überprüfte die Pulverpfanne. Seit gestern hatte jemand sie schussbereit gemacht. Das Rad war gespannt. Er legte das Gewehr in den Wäschekorb.
    Er stellte sich vor, was ihn erwarten würde. Ein kleines Schlafzimmer, genauso groß wie die Küche. Möbel, Betten, Gerümpel. Hindernisse aller Art. Zwei Unschuldige. Zwei junge, unerfahrene Gegner. Gute Aussichten auf Panik. Seine Pistolen hatte er noch nicht gefunden.
    Er streifte sich den Köcher von der Schulter und legte ihn zum Gewehr. Er schnallte auch seinen Schwertgurt ab. Er zückte den Dolch mit dem Griff aus Lapislazuli und packte den Bogen und den blutigen Pfeil.
    Er stand an der ersten Tür und lauschte. Nichts. Er drehte den Türgriff, warf die Tür auf, spannte den Bogen. Ein durchwühltes Schlafzimmer. Männerschuhe. Der Duft von Orangenwasser. Daniel Malans Zimmer. Nun stand er bei der letzten Tür.
    Er hatte Carlas Tod nicht verhindert. Vor sich sah er ihr Gesicht.
    Tannhäuser trat gegen die Tür.
    »Jean. Ebert. Zieht euch die Hosen wieder hoch und kommt raus. Der Hauptmann braucht

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