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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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uns.«
    Stille. Dann leises, aufgeregtes Gemurmel. Studenten, keine Miliz. Eine Debatte. Die Stimmen klangen schuldbewusst, ängstlich. Kein Mucks von Pascale oder Flore. Aber Schweigen war ja eine übliche Reaktion auf Brutalität und Vergewaltigung. Eine heisere Männerstimme war zu hören.
    »Wir können im Augenblick nicht rauskommen.«
    »Sag dem Hauptmann, wir kommen später«, fügte eine zweite Stimme hinzu.
    »Mit Bedauern?« Tannhäusers Tritte ließen die Tür erzittern. »Bedauern werdet ihr meine Prügel.«
    Er hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte.
    »Hör mal, Bursche«, hob eine Stimme an. »Wir gehören nicht zu eurer Miliz, und wir können machen, was wir wollen. Klar?«
    Und dann, als wollte er das Argument verstärken, riss der Kerl die Tür auf.
    Tannhäuser wollte ihn gerade erdolchen, als er einen der beiden jungen Schauspieler erkannte, die er am Vortag im Roten Ochsen verprügelt hatte. Der andere erkannte ihn auch.
    Er schrie beinahe auf. »Nein. Wir haben sie gerettet. Wir haben sie beide gerettet.«
    Anstatt ihn zu erstechen, rammte Tannhäuser dem Mann den Griff des Dolches auf die Nase. Die Knochen splitterten, und Ströme von Blut spritzten hervor. Tannhäuser trat dem Schauspieler die Beine weg und stieß ihn zu Boden. Dann stürzte er sich ins Zimmer, die Finger seiner Dolchhand an der Bogensehne. Er spannte den Bogen und zielte auf den zweiten Schauspieler, der sich von einem Stuhl beim Fenster erhob. Ihm fiel auf, dass beide Männer tiefe Kratzspuren im Gesicht hatten.
    »Setz dich wieder hin, oder ich bring dich um. Beide Hände unter den Hintern.«
    Der junge Mann gehorchte, während seine Augen von der glänzenden Lederschürze zu der blutroten Pfeilspitze huschten, die auf seine Brust gerichtet war.
    »Bist du Jean?«
    »Ja, und es stimmt«, sagte Jean, »wir haben sie beide gerettet.«
    »Kein Wort.«
    Jean gehorchte.
    Tannhäuser schaute zu Pascale und Flore.
    Sie lebten. Sie waren vollständig bekleidet. Sie schienen unversehrt. Zu seiner Beschämung bemerkte er, dass Tränen seinen Blick vernebelten. Er senkte den Bogen und steckte den Dolch in den Gürtel. Das Zimmer enthielt ein Doppelbett, zwei Stühle, einen Tisch beim Fenster und verschiedenes Gerümpel. Pascale und Floresaßen auf der fernen Seite des Bettes. Ebert lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden und schniefte Blut. Tannhäuser stampfte mit dem Fuß auf seine linken Rippen.
    »Ebert, kriech unters Bett.«
    Ebert stöhnte und schlängelte sich über den Boden, bis er mit Kopf und Schultern unter dem Bett stak. Er begann zu weinen. Ebert hatte ein Messer im Futteral am Gürtel. Tannhäuser nahm es. Es taugte nichts. Er warf es zur Tür hinaus. Nun trat er Ebert rechts in die Rippen, bis sie unter seiner Ferse krachten. Er wandte sich Jean zu und zog ihm ein langes Metzgermesser aus dem Gürtel. Es war neu und schien ungebraucht zu sein. Er hielt Jean die Schneide unters Kinn, während er durch das Fenster auf die Straße schaute.
    »Hast dir ein Metzgermesser besorgt, was, Jean? Wärst wohl gern Metzger?«
    Die Fensterscheiben waren dick, aber er sah genug. Ein Mob von etwa einem Dutzend Milizsoldaten hielt jenseits des Feuers mit viel Armwedeln und vorwurfsvollen hochroten Gesichtern eine Besprechung ab.
    Tannhäuser wandte sich um und schaute zu Pascale. Sie trug ein rotes Seidentuch um den Hals. Sie schaute zurück. Einen Augenblick lang schien es ihm, als wäre die ganze Welt durch ihre unendliche Verletztheit zu eisiger Reglosigkeit gefroren. Doch er wusste, dass das eine Illusion war und dass sich die Welt weiterbewegte, und zwar gegen sie alle.
    »Wo sind meine Pistolen?«, fragte er.
    Die Mädchen hatten jede ein dünnes Kissen auf dem Schoß. Keine bewegte sich, und Tannhäuser dachte an die lange und haarsträubende Todesfurcht, die sie durchlebt haben mussten.
    »Vergebt mir, wenn ich kurz angebunden bin.« Er hatte das Messer noch an Jeans Hals. »Ihr müsst sehr verzweifelt sein, aber jetzt geht es nur um praktische Dinge. Die Pistolen?«
    Von ihrem Schoß nahm Pascale die erste Radschlosspistole, hielt sie mit beiden Händen wie eine kurze Muskete. Der Hahn war auf dem Zündpfannendeckel.
    Flore brachte die zweite zum Vorschein.
    »Schussbereit und gespannt?«, fragte Tannhäuser.
    Pascale holte Luft, als hätte sie lange nicht mehr geatmet.
    »Sonst wäre es ja sinnlos, sie zu haben.«
    »Das war vielleicht eine dumme Frage«, sagte er.
    »Es war eine gute Frage«, antwortete

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