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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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wunderbar finden.
    »Wie viel für diesen Säuglingskittel?«
    »Sire, dies ist kein Kittel, sondern ein Taufkleid, und eines, das fein genug wäre für eine Prinzessin oder einen Prinzen, um darin das Heiligste aller heiligen Sakramente zu empfangen.«
    Nun hob der Händler zu einem Lobgesang auf die feine italienische Webart des Stoffs an, auf die kunstreichen Spitzeneinsätze und die Verzierungen aus Silbertuch am Kragen.
    »Dieses Tuch wird von Venedig aus in großen Ballen verschifft, also erspart mir die lange Rede.«
    Der Tuchhändler nannte seinen Preis. Tannhäuser lachte ihn nur aus.
    »Macht mir ein anständiges Angebot, dann geht Ihr mit Silber in der Tasche nach Hause. Es ist wahrscheinlich das Letzte, das Ihr für lange Zeit verdienen werdet.«
    »Warum sollte das so sein, Sire?«
    »Warum? Der Hugenottenaufstand. Habt Ihr nicht davon gehört?«
    »Ist es wirklich wahr? Die Hugenotten wollen dem König die Gurgel durchschneiden und die Stadt plündern?«
    »Ich bin gerade auf dem Weg zum Louvre. An Eurer Stelle würde ich meine Waren auf einen Esel laden und mich nach Süden aufmachen. Diese Fanatiker verachten allen Putz und alle bunten Farben. Die würden mit dieser feinen Seide nur unsere Priester und vielleicht sogar uns aufknüpfen.«
    Der Tuchhändler schaute furchtsam auf seine kostbaren Seidenballen.
    »Ich wollte meinen Stand heute gar nicht öffnen, aber das Bureau de Ville hat es uns befohlen. ›Um einen Anschein von Normalität zu wahren.‹ Ich bitte Euch. Warum können sie diesen Anschein nicht selbst wahren? Das Land wird von Wahnsinnigen und Dieben regiert.«
    »Und das gilt in Paris als Neuigkeit?«
    »In den Louvre seid Ihr unterwegs, sagtet Ihr?«
    »Ich habe schon viel zu viel gesagt. Aber behaltet es für Euch, sonst bricht Panik aus.«
    Der Tuchhändler schaute sich verstohlen unter seinen Kollegen um, die sich in der Halle drängten. Er nickte.
    »Nun«, sagte Tannhäuser, »wollt Ihr den Kittel verkaufen oder nicht?«
    Der Handel war so vorteilhaft, dass Tannhäuser weiter durch die Markthalle ging und eine Hose, Socken und Schuhe für Grégoire kaufte.
    Als der völlig verwirrte Junge die Schuhe anprobierte, bemerkte Tannhäuser einen in flaschengrünen Samt gekleideten Mann, der um die dreißig Jahre alt sein mochte und ihn hinter einer Auslage mit Hemden hervor beobachtete. Er hatte etwas von einem Wiesel und schien missgebildet. Das Wiesel wandte sich ab und verschwand. Das Gesicht kam Tannhäuser irgendwie bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern, woher. Er hatte in der letzten Stunde mehr Gesichter gesehen als sonst in einem ganzen Jahr. Der kleine Zwischenfall gab ihm zu denken, doch ehe er ins Grübeln kam, brüllte eine raue Stimme über den Lärm hinweg.
    »Ho! Beim haarigen Kinn des Propheten, kann das Mattias Tannhäuser sein?«
    Auf einer der Galerien stand in einer Nische ein Spanier, der ein, zwei Jahre über vierzig war und eine vornehme, zurückhaltende Livree trug. Darauf waren als Abzeichen gekreuzte Streitkolben auf rotgoldenem Hintergrund angebracht. Tannhäuser wusste, dass er aus der Estremadura stammte. Mutter Natur hatte ihn so ausgestattet, dass er alle außer den Mutigsten in Furcht und Schrecken versetzte. Ein Jahrzehnt, in dem er für die spanische Ordonnanz von Neapel getötet und für die Inquisition Waldenser ausgerottet hatte, hatte sein Übriges getan. Der Mann war mit Schwert und Pistolebewaffnet, und Tannhäuser bemerkte zumindest zwei verborgene Dolche. Unter der Livree trug er einen Brustpanzer.
    Tannhäuser ging zu ihm hinüber.
    »Guzman, warum sitzt Ihr nicht tief unten im Gefängnis?«
    Guzman lachte. Sie schüttelten einander die Hand und unterhielten sich auf Italienisch.
    »Ich habe es in der Welt weit gebracht. Ihr anscheinend auch. Einkaufen in der Grande Halle?«
    »Etwas für Carla, meine Frau.«
    »Gratulation und meinen Segen. Ich hoffe, Ihr seid glücklich.«
    »Ich werde erst glücklich sein, wenn ich sie gefunden habe. Ich bin eben erst angekommen. Carla ist irgendwo in der Stadt, aber ich weiß nicht wo.«
    »So manche Frau ist in Paris verloren gegangen und wiedergefunden worden. Vielleicht kann ich helfen. Ich habe, dank meines Herrn, einen gewissen Einfluss. Ihr habt doch schon von Albert de Gondi, dem Comte de Retz, gehört?«
    Tannhäuser nickte. Retz war im Sold der Florentiner und in die Dienste von Henri II. eingetreten, als dieser vor fünfundzwanzig Jahren Catherine de Medici heiratete. Seither hatte er es

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