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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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helfe.«
    Tannhäuser blickte zu den Zwillingen. Ihre Finger waren ineinanderverklammert. Die weiße Bleifarbe, die Holzkohle und der Rote-Bete-Saft, mit denen man ihre Gesichter bemalt hatte, waren zu seltsamen Mustern verschmiert. Sie trugen Strohsandalen, die so blutverkrustet waren, dass ihre Füße doppelt so groß wirkten. Sie starrten elend und jammervoll zu Boden. Er hatte ihnen Suppe verschafft und ihren Zuhälter ermordet und sie dann vergessen. Sie waren nur eine weitere Bürde für ihn.
    »Gut gemacht, Juste. Wissen sie, dass Tybaut tot ist?«
    »Als ich sie gefunden habe, versuchten sie gerade, seinen Leichnam ins Hospital zu zerren.«
    Tannhäuser erinnerte sich, in welchem Zustand er Tybauts Leiche hinterlassen hatte.
    »Kennst du ihre Namen?«
    »Sie wollen nicht mit mir sprechen und haben auch zueinander kein Wort gesagt. Ich nenne sie die kleinen Mäuse, und sie scheinen nichts dagegen zu haben.«
    Tannhäuser fand diesen Spitznamen ein wenig zu niedlich. Er schaute das ältere Schwesternpaar an. »Sorgt dafür, dass diese Mäuse so aussehen, dass wir sie zu den Mönchen mitnehmen können. Und geht sanft mit ihnen um.« Pascale errötete. »Ich will keine gemeinen Worte mehr hören.«
    Tannhäuser forderte Juste mit einer Geste auf, einen zweirädrigen Karren zu untersuchen, der auf dem Hof auf seinen Deichseln ruhte. Der Karren war vorn offen, wo ein Kutscher sitzen oder stehen konnte. Hinten war eine Klappe. Der Wagen war schäbig, aber die Räder waren in Ordnung und die Lager geschmiert.
    »Nun? Lebt Grégoire noch?«
    »Ja, verzeiht mir, ich hätte es Euch gleich sagen sollen. Luzifer auch.«
    »Wo ist er?«
    »Er ist den beiden Männern gefolgt, aber ich weiß nicht, wohin sie gegangen sind. Luzifer ist mit ihm gelaufen.« Darüber schien Juste enttäuscht zu sein. »Wir haben beschlossen, dass ich zurückgehen sollte, um Euch hier zu treffen, und dann habe ich die Mäuse beim Hôtel-Dieu gefunden …«
    Tannhäuser zog ihn in die Sattelkammer. »Wer sind die beiden Männer, denen er folgt?«
    »Grégoire ist nicht leicht zu verstehen, aber ich glaube, er hat einen ›Petit Christian‹ genannt. Er hat einen Affen nachgeahmt, damit Ihr wisst, wen er meint.«
    »Ich weiß, wen er meint. Wer waren die anderen?«
    »Einer ritt einen wunderbaren Rotfuchs mit vier weißen Socken. Er trug Schwarz und hatte eine goldene Kette auf der Brust. Er war älter, älter als Ihr, aber nicht so alt wie der Portier.«
    »Der vom Collège? Der vertrocknete Käfer mit Perücke?«
    »Ja, der.«
    »Du hast also drei Männer gesehen: Petit Christian, den Portier und den Edelmann.«
    »Ja.«
    Die Goldkette ließ darauf schließen, dass der Mann Mitglied eines Ritterordens war.
    »Kannst du die Glieder der Goldkette beschreiben? Oder den Anhänger?«
    »Nein, so genau habe ich nicht hingeschaut«, sagte Juste bedauernd. »Wir wollten nicht zu nah …«
    »Das hast du gut gemacht. Hier, trag das.«
    Tannhäuser hatte ein Brustblattgeschirr hervorgekramt. Er häufte alles auf Justes Arme. Sie kehrten auf den Hof zurück, um Clementine vor den Karren zu spannen.
    »Fang an bei dem Augenblick, an dem ich euch auf der Straße verlassen habe. Erzähl mir alles.«
    »Zuerst haben wir Pferdescheiße geworfen … nein, zuerst habt Ihr die beiden Männer beim Feuer getötet und ins Haus gezerrt, dann haben wir Pferdescheiße auf die Männer geworfen, nun ja, sehr junge Männer, beinahe Jungen, aber sie hatten Messer und Äxte, und sie haben uns durch die Gassen gejagt, aber Grégoire kannte einen Eingang in einen Tunnel bei einer Kirche, wo sie die Knochen stapeln und wo die Verrückten leben. Vom Geruch ist mir schlecht geworden, und nach dem Sonnenschein war es dunkel, ich gebe zu, ich hatte große Angst, aber …«
    »Warum habt ihr Pferdescheiße auf die Jungen mit den Messern geworfen?«
    »Luzifer hat sie angebellt, und ich habe gesagt: ›Die werden Tannhäuser in den Laden folgen!‹ Und dann hat Grégoire die Pferdeäpfelgepackt. Der ist das gewöhnt, wisst Ihr, aber Pferdescheiße ist gar nicht so schlimm, besser zum Werfen.« Er nickte ernst.
    Tannhäuser unterdrückte das Verlangen, die Jungen für ihren Leichtsinn zu tadeln. »Da bin ich mir sicher. Und ihr wart mutig. Weiter.«
    »Nun, die Verrückten waren wütend, als wir über sie wegrannten – wir sind über ihre Strohlager getrampelt, haben Weinkrüge zerbrochen, der Tunnel war voll mit allem möglichen Zeug –, und sie haben uns hinterher geschrien, und

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