Die Blutnacht: Roman (German Edition)
verrotten. Man darf euch nicht als die Töchter von Daniel Malan erkennen.«
Die Mädchen schauten einander an.
Flore sagte: »Am besten geben wir vor, dass wir keine Schwestern sind.«
»Sehr gut«, meinte Tannhäuser.
»Wie kommen wir durch das Tor?«, fragte Pascale.
»Mit Lügen und Gold.«
Flore fragte: »Werden wir dich je wiedersehen?«
Tannhäuser dachte an den Tempel seines eigenen Ordens – den großen weißen Turm, die Sicherheit, die er gewährte, jenseits des Zugriffs aller außer der königlichen Autorität. War der wirklich nur zwei Meilen entfernt? Über die Straßen allein hätte er sich auch mit den Mädchen gewagt. Das Gute an diesem Labyrinth war ja, dass man immer auch eine andere Route finden konnte. Aber die Île de la Cité war nicht das Treppenhaus des Druckers. Hier brachten Männer aus der geringsten Laune heraus andere um. Ein falsches Wort, ein schiefer Blick, ein missverständlicher Tonfall oder eineungeschickte Geste konnten jederzeit einen wilden Aufruhr hervorrufen, und die Mädchen wären tot.
»Euch über die Brücke zu führen wäre zu gewagt.«
»Das hast du uns schon erklärt«, sagte Pascale.
»Selbst wenn wir dich nie wiedersehen, lieben wir dich doch.«
Flore sprach leise und mit der ganzen Wahrheit ihres Herzens. Sie traf das, was von seiner Ehre noch übrig war, zutiefst. Aber der Wahnsinn respektierte keine Ehre, und die Ehre war kein Freund der Vernunft.
»Wenn Orlandu gesund genug ist, bringe ich ihn in die Abtei. Dann kommen wir wieder zusammen.«
Die Mädchen zeigten keine große Begeisterung für diesen ungewissen Plan, aber sie konnten kein vernünftiges Gegenargument finden. Ehe sie es versuchten, ging Tannhäuser zu Clementine, um ihr den Sattelgurt zu straffen.
»Du hast gesagt, du zeigst mir Techniken, die ich mit dem Messer ausführen kann.« Pascale hielt ihm den kurzen Dolch hin, den sie dem toten Hauptmann abgenommen hatte. »Ich habe in der Werkstatt immer Werkzeuge benutzt. Vater sagte, ich bin geschickt wie Apollo.«
Er vermutete, dass es ihr mehr um die Kameradschaft als um das Wissen ging. Es schien ihm eine sehr geringe Bitte. Er drückte den Dolch flach an den Unterarm.
»Der Körper ist eine Landkarte des Todes, aber in vielen Bereichen ist der Boden steinig. Töten ist eine schwierige Sache, rasches Töten besonders. Du musst die Markierungspunkte kennen.«
»Die Knochen.«
»Die und mehr. Zwei Angriffe, beide einfach. Für beide musst du sehr nah bei deinem Opfer sein und hervorragende Nerven haben, aber die hast du ja. Der erste. Hier an der Innenseite des Oberschenkels verläuft ein Blutgefäß, so dick wie mein Finger. Triff das, und dein Gegner verblutet, ehe er begriffen hat, dass du ihn nicht entmannt hast, wovor er sehr viel mehr Angst hat. Geschwindigkeit ist alles, rein und raus. Verbirg die Klinge am Unterarm, so. Renne auf ihn zu, rufe irgendwas Mädchenhaftes, bitte um Gnade oder Hilfe oder sage seinen Namen, wenn du ihn kennst. Da hält selbst der hartherzigste Mann kurz inne, und in der Sekunde bringst du ihnum. Stoße ihn zuerst mit dem Kopf in den Bauch, damit er nichts sieht, dann einen tiefen, festen Schnitt unterhalb der Leiste, hier, als würdest du in einen Laib harten, alten Käse säbeln. Dann raus und wegrennen, Abstand gewinnen. Lass ihn bluten, er wird nicht in der Lage sein, dir zu folgen.«
»Nicht zögern. Nicht lange herumlungern.«
»Hervorragend. Zweiter Angriff. Der gleiche Anfang : ein schwaches Mädchen, das um Hilfe fleht. Wenn er nicht zu groß ist, wirf dich ihm an die Brust, die Handflächen nach vorn, als wolltest du ihn streicheln, berühre mit der Linken vielleicht sogar seine Wange. Mit der Rechten, die Klinge flach am Arm verborgen wie vorhin, greifst du nach oben und rammst ihm die Spitze hinter dem Schlüsselbein nach unten in den Hals, wie bei Jean. Siehst du?«
Pascale nickte mit strahlenden Augen. »Ja.«
»Dann ziehst du wie vorhin rasch die Klinge raus und rennst. Immer schnell und schlau sein wie ein Fuchs. Flucht ist die beste Form der Verteidigung. Pass auf, dass du nicht verletzt wirst. Schnelle Entschlüsse. Darauf kommt es immer an. Dass du dich entscheidest, ist wichtiger, als was du entscheidest. Wenn du entscheidest, kannst du handeln, wenn nicht, dann kannst du nur sterben. Aber entscheide dich nur im äußersten Fall für einen Kampf. Du hast nicht gesehen, dass ich unnötige Risiken eingehe.«
»Du hast gerade siebzehn bewaffnete Männer getötet.«
Er bemerkte,
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