Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
führte ihre Hand zwischen die Schenkel. Sie spürte nasses Haar. Einen warmen, harten Kopf.
    »O Gott.«
    Ihr Hochgefühl darüber, dass sie ihr Kind berührte, übertraf allen Schmerz, aber nur einen Augenblick lang.
    Sie spürte, dass Alice ihr wieder die Schulter drückte.
    »Du bist beinahe fertig, Liebes. Bei der nächsten Wehe presse nicht zu sehr oder zu plötzlich, sondern stark und ruhig, damit nichts reißt.«
    »Als zöge man einen Korken heraus«, fügte Grymonde hinzu.
    Die Wehe flutete über sie, und sie presste stark und ruhig. Das Brennen erreichte einen Höhenpunkt.
    »Ich bin das Feuer.«
    Sie stieß ein erleichtertes Stöhnen aus, als der Kopf herausrutschte und sich drehte.
    Dann folgte ein Schwall Fruchtwasser, mehr als sie noch vermutet hatte.
    Sie keuchte.
    Sie langte nach unten.
    »Geht es ihm gut? Sagt’s mir.«
    Grymonde war in der Hocke, tief gebeugt, hatte die viele Flüssigkeit gar nicht bemerkt.
    »Rosa wie ein reifer Pfirsich und blinzelt schon.«
    Ihre Fingerspitzen berührten köstlich weiche Haut. Eine Wange. Sie schluchzte vor Freude.
    »Noch nicht entspannen, Liebes. Noch ein paar Wehen, und du hast es geschafft.«
    »Soll ich noch warten?«
    Die Wehe setzte ein, ehe Alice antworten konnte. Carla schloss die Augen und presste. Das Brennen breitete sich wieder aus, aber sie bemerkte es kaum noch und scherte sich nicht darum.
    In einem letzten strömenden Schwall glitt der Körper des Kindes aus ihr heraus.
    In jenem Augenblick spürte sie, dass sie der Verlust scharf wie ein Pfeil traf. Doch dann erfüllte sie eine solche Welle der Erleichterung, dass sie auf den Beinen schwankte. Sie klammerte sich an die Lehne, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Sie schlug die Augen auf und blickte nach unten.
    Das Kind lag glänzend auf Grymondes riesigen Handflächen. Das feuchte Köpfchen rollte in abenteuerlichen Bewegungen hin und her, die Augen blinzelten durch perlende Tropfen, die auch von den Lippen spritzten. Die Gliedmaßen räkelten sich, anscheinend entzückt über so viel neu entdeckte Freiheit. Eine zerrissene durchscheinend weiße Membran, die an der einen Seite noch mit der Nabelschnur verbunden war, lag dem Kind wie ein lebendiger Umhang um die Schultern und die strampelnden Beine.
    »Unter der Glückshaube geboren«, sagte Grymonde voller Stolz. Er schaute zu Alice. »Das ist ein gutes Zeichen.«
    Carla hörte kaum zu. Sie ließ die Lehne los, und Grymonde reichte ihr das Kind. Carla griff es unter den Armen. Ihre Hände umfassten den warmen kleinen Körper, der noch mit sahnigem Fett bedeckt war, und ihr Herz floss über vor Entzücken. Sie spürte, wie sich der zarte Brustkorb hob und senkte, wie Leben, Hoffnung und Mut in ihren Händen pulsierte.
    Mit sanften Bewegungen zog Grymonde die Glückshaube ab.
    Carla stützte den Kopf des Kindes mit den Fingerspitzen und setzte sich auf den Boden.
    Sie hielt sich das Neugeborene vor die Augen.
    Es war ein Mädchen.
    Carla war von ihrer Schönheit überwältigt.
    Reine Liebe strömte in ihr Herz.
    Carla barg es in den Armen, führte ihren Mund an die Lippen des kleinen Mädchens und saugte sanft die restliche Flüssigkeit ab. Das Mädchen zwinkerte und bewegte seine winzigen Hände und schaute sie an. Seine Augen waren so blass und durchscheinend wie ein Opal. Carla wusste, dass sie einem Engel das Leben geschenkt hatte.
    »Amparo.«
    Amparo stieß einen kurzen, süßen Schrei aus.
    Carla legte ihre Wange an Amparos Wange. Sie flüsterte ihr ins Ohr.
    »Du wirst eine Sängerin von Liedern werden.«
    Sie spürte Alice an ihrer Schulter und drehte sich um, damit sie ihre Freude sehen konnte.
    Sie liebte die alte Frau.
    »Danke, Alice. Ich werde das niemals …« Sie schluckte. »Ich werde das niemals vergessen.«
    Carla schaute Grymonde an. Wie konnte ein Mensch solche Dunkelheit in sich bergen? Sie dachte an Mattias, bei dem sie sich die gleiche Frage gestellt hatte. Sie verspürte eine schreckliche Sehnsucht, Mattias zu sehen, wie er seine kleine Tochter in den Armen hielt, denn sie wusste, dass er sich ein Mädchen gewünscht hatte. Doch Mattias war nicht hier, sie und ihre Tochter aber sehr wohl. Ehe die Traurigkeit sie übermannen konnte, rang sie sich ein Lächeln ab, das sie dem Ungeheuer schenkte, das vor ihr kniete.
    »Auch Euch Dank, Monsieur Grymonde.«
    Grymonde grinste, dass man all seine unnatürlich großen Zahnlücken sehen konnte.
    »Ich habe nichts gemacht, Carla. Das habt alles Ihr gemacht.«
    »Ihr seid mir

Weitere Kostenlose Bücher