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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Clouet. Aber der ist doch Hofmaler.«
    »Genau der. Der Name bedeutet meinem Sohn natürlich nichts, aber seine Eitelkeit ist jetzt erwacht, und da er nichts zu fürchten hat, isst er seine Wurst auf und folgt dem Mann in ein herrliches Appartement im Louvre, wo Monsieur Clouet – der zu seinem Wort steht – im Handumdrehen dieses herrliche Abbild malt. Es war allem Anschein nach eine rechte Vorstellung, und der Monsieur war auch sehr zufrieden mit sich.«
    »Das will ich meinen, es ist wunderbar, aber wie kommt es, dass du es hast?«
    Eine weitere starke Wehe kam ihr dazwischen. Carla ließ sie voller Ungeduld über sich ergehen. Die Geburt rückte näher, das spürte sie zum ersten Mal, und dann würde keine Ablenkung mehr wirken.
    »Sprich weiter.«
    »Also dankt ihm Monsieur Clouet und gibt meinem Sohn fünf Écus d’or, eine Summe, die seine Erwartungen so weit übersteigt, dass er sich fragt, ob das Gold echt ist. Doch ehe er das Geld nimmt, wirft er einen ersten Blick auf das Bild. Und was denkst du, was dann geschieht?«
    »Sag’s mir.«
    »›Nein, Monsieur‹, sagt mein Sohn. ›Ich nehme mein Bild als Bezahlung, vielen Dank, denn es wird meiner Mutter gefallen. Und da Ihr Eure Herausforderung hattet und bestanden habt, ist der Handel nur gerecht.‹ Du kannst dir das Theater daraufhin vorstellen.«
    »Wenn es mir nicht so schlecht ginge, würde ich lachen.«
    »Wenn mein Sohn sich einmal entschieden hat, ist nicht mehr daran zu rütteln, Punktum. Bis dann die Palastgarde gerufen wird, zittert der Monsieur vor Furcht, und mein Junge droht, das Bild in Stücke zu reißen und damit ihr Blut aufzuwischen. ›Aber da es schade wäre, eine so elegante Kleinigkeit zu zerstören‹, sagt er, ›und wenn Ihr mir fünf Écus d’or gebt, ist es Euch sicher fünfhundert wert, dann bleibe ich noch so lange stehen, bis ihr ein zweites zeichnet, und dann haben wir jeder eins.‹ Das haben sie gemacht, und hier ist es.«
    »Dem Blick nach zu schließen, muss dies die zweite Zeichnung sein.«
    »Nein, Liebes, das ist die erste. Während der zweiten Zeichnung hat die Hand des Monsieur so gezittert, dass mein Sohn das Bild nicht schön genug fand.«
    Einen Augenblick lang überwog Carlas Entzücken alle Vorsicht, und sie lachte. Ihr Körper reagierte mit einem weiteren schrecklichen Krampf. Während sie stöhnend da lag, nahm Alice ihr das Bild ab und verstaute es. Sie kam zu Carla zurück, nahm das Leinentuch fort und trocknete sie ab. Sie tauchte die Hand in den Topf mit der Lotion.
    »Dann sehen wir mal, wie weit wir sind.«
    Carla spreizte die Beine, und Alice untersuchte sie.
    »Großartig. Nur noch ein kleiner Rand übrig, der Kopf ist ganz unten. Aber presse noch nicht.«
    Einen Augenblick später hörten sie unten Schritte.
    »Mutter! Ich komme hoch!«
    »Du wartest unten, bis ich’s dir sage!«
    »Ich habe Neuigkeiten.«
    »Du hast mich gehört.«
    Carla war zu sehr mit der nächsten Wehe beschäftigt, um sich zu beunruhigen. Alice wartete.
    »Mein Sohn ist in diesem Zimmer aufgewachsen und hat seiner Mutter bei der Arbeit zugeschaut. Da sie nicht mehr so stark ist wie früher, hat er mehr als einmal ausgeholfen, wenn das Kind schlecht lag. Höchstwahrscheinlich brauchen wir ihn heute nicht, aber bei meinem Wort, du kannst dich auf ihn mehr verlassen als auf jeden Arzt. Wenn du aber lieber nicht möchtest, dass er kommt, dann kommt er nicht.«
    Mattias war während ihrer letzten Niederkunft die meiste Zeit bei ihr gewesen, außer in den Augenblicken, als seine Angst sie so angestrengt hatte, dass sie ihn zum Holzhacken nach draußen geschickt hatte. Es kam nur auf das Kind an. Die Sorge um sein Wohlbefinden erfüllte sie. Es hätte ihr auch nichts ausgemacht, vor einer Menschenmenge zu stehen.
    »Wenn er helfen kann, ist er willkommen, mir ist es gleichgültig. Aber ich muss stehen oder hocken, auf dem Rücken fühle ich mich zu schwach.«
    Sie rappelte sich auf die Beine, ohne sich von Alice helfen zu lassen. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, dann konnte sie wieder sehen. Das Bett hatte weder Kopf- noch Fußende, aber die massive Bank mit der Lehne hatte sie ja schon vorhin benutzt. Sie packte die Lehne und fühlte sich wieder ruhiger. Sie atmete gleichmäßig. Sie hörte Alice und Grymonde draußen vor der Tür reden, irgendein murmelnd ausgetragener Disput, von Alice mit ruhiger Wildheit geführt. Carla versuchte nicht zu lauschen. Sie war nicht neugierig. Sie war erschöpfter, als sie gedacht hatte; die

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