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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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den winzigen Lidern sehen konnte, wie sich die Augen bewegten. Seine Händeregten sich, als träumte es seinen ersten Traum in dieser neuen Welt.
    »Sollte sie nicht etwas mehr weinen?«, fragte Carla.
    »Wir haben ihr bisher noch keinen Grund zum Weinen gegeben. Aber das kommt schon noch.«
    Grymonde kam mit einem vollgeladenen Tablett zurück.
    »Tee für die Herzogin von Cockaigne und ein Krug mit feinem Wein für die Königin.«
    »Sprich leise, die Kleine schläft.«
    Grymonde hatte Honig für den Tee mitgebracht, und Carla nahm sich davon. Alice stürzte einen großen Becher Wein herunter, ohne ihn abzusetzen. Sie keuchte. Grymonde schenkte ihn erneut voll.
    »Unten im Hof braten sie ein Schwein«, sagte er. »Könnt ihr es riechen?«
    »Ist Estelle zurückgekommen?«, fragte Carla.
    »La Rossa? Ich habe sie nicht gesehen. Es sind zu viele andere da.«
    »Was immer im Hof – oder sonstwo – vor sich geht, interessiert uns nicht. Und wir würden es dir danken, wenn diese Meute nicht so grölen würde.«
    »Ich glaube, man sollte es ihr sagen«, meinte Grymonde.
    »Wenn etwas zu tun ist, dann geh und tu es. Wenn nicht, dann gib Ruhe und lass uns unsere Ruhe, bis sich eine Unterbrechung lohnt.«
    »Ihr meint, man sollte mir etwas sagen?«, fragte Carla.
    In ihrer Stimmung musste sie sich Mühe geben, sich irgendetwas vorzustellen, das ihr Sorgen machen könnte. Der Lärm des Festes unten schwoll an. Mit plötzlichen Schuldgefühlen erinnerte sie sich an Antoinette.
    »Geht es um Antoinette? Ich habe mich den ganzen Tag nicht um sie gekümmert. Ist sie …?«
    »Antoinette geht es blendend«, antwortete Grymonde. »Wenn sie eine Woche bliebe, würde sie hier regieren. Nein. Euer vagabundierender Ehemann, dieser Mattias. Heißt er Tannhäuser?«
    »Wenn man vom Teufel spricht …«, sagte Alice.
    Carla drückte Amparo fester an sich. Sie wusste nicht, was sie fühlte.
    »Ja. Mattias Tannhäuser. Er ist Ritter vom Johanniterorden.«
    »Das trifft den Nagel auf den Kopf«, sagte Grymonde.
    »Was meinst du damit?«
    Sommerlicher Donner grollte über dem Hof.
    Grymonde ignorierte die wütenden Blicke seiner Mutter.
    »Ich habe gute Gründe zu der Annahme, dass der Mann hier in Paris ist.«



KAPITEL 20

P APST P AUL
    Der Überfall auf das Hôtel d’Aubray war fünf Tage zuvor durch die Vermittlung von Papst Paul im Gasthaus zum Blinden Pfeifer in Auftrag gegeben worden. Dreißig Écus d’or und alle Beute, die sie tragen konnten, wurden als Preis ausgemacht. Dafür sollten sie nicht nur alle töten, die im Haus wohnten – wobei besonders die beiden Frauen erwähnt wurden –, sondern auch ein möglichst blutiges Gemetzel hinterlassen.
    »Schneidet ihnen die Titten ab«, hatte Paul gesagt. »Irgendwas wirklich Scheußliches und Blutiges, lasst eure Jungs von der Leine. Dass die Messieurs was zu bejammern haben. Dass sie in ihrer vornehmen Seidenbettwäsche ordentlich ins Schwitzen kommen.«
    Paul hatte zugeben müssen, dass eine so öffentliche und grausige Gewalttat das Unternehmen sehr viel gefährlicher machte. Deswegen hätten sie ja zuerst an den Infanten von Cockaigne gedacht. Die Risiken spiegelten sich auch im Preis wider.
    Grymonde hatte ihn auf fünfzig hoch gehandelt, eine Summe, die ihm klar machte, dass die finsteren Mächte, die diese Rechnungbeglichen, irgendwo weit jenseits der Höfe zu Hause waren. Das Geld beantwortete alle anderen Fragen, und Grymonde hatte keine gestellt. Jetzt war er auf dem Weg zu Paul, um sich die letzten zwanzig Goldstücke zu holen und von dem fetten Mistkerl vielleicht noch mehr in Erfahrung zu bringen.
    Als er in der Abenddämmerung den Hügel hinunter auf Les Halles und den Blinden Pfeifer zuging, überlegte er, dass zum ersten Mal, seit er denken konnte, die sichersten Straßen von Paris im Gebiet der Höfe lagen. Hier waren keine Hugenotten, und es gab auch nichts zu stehlen, außer der Diebesware, die man anderswo entwendet hatte und auf die niemand, dem sein Leben lieb war, ein begehrliches Auge werfen würde. Außerdem hatten die Banden von Gaunern und Herumtreibern, die Bettler und Straßenkinder, die sich gewöhnlich nur in den tiefsten Schatten herumtrieben, ihre Posten verlassen. Sie waren auf der Suche nach Beute ausgeschwärmt, die – dem König sei Dank – überall in der Stadt reichlich zu holen war.
    Es war seltsam, aber obwohl Grymonde hier geboren war, die meisten Nächte seines Lebens hier verbracht hatte und kaum je außerhalb der Stadtmauern gewesen

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