Die Blutnacht: Roman (German Edition)
daran.
»Wunderbar. Wenn du das Bedürfnis verspürst, dann presse, das wird helfen. Aber es hat keine Eile. Es wird ein wenig Blut geben, vielleicht auch ein bisschen mehr, aber das ist normal. Und wenn du dann so weit bist, badet dich dieses alte Mädchen, und dann kannst du das Schätzchen hier baden.«Nach einiger Zeit hörte die Nabelschnur auf zu pochen, und Gefühle schnürten Carla den Hals zu. Die Leiden der Schwangerschaft, die Wehen der Geburt, all das waren nur noch verschwommene Erinnerungen. Sie hätte tausendfach schlimmere Qualen durchgestanden, um ihre Tochter auch nur einen Augenblick in den Armen zu halten. Sie ließ die Nabelschnur los. Eine Verbindung war zu Ende, und andere hatten begonnen, so viele und so tiefe Verbindungen, wie sie sich kaum vorstellen konnte, und doch waren sie ihr in jeder Faser ihres Wesens bekannt. Sie schaute unverwandt auf Amparos Gesicht, während die saugte. Sie fragte sich, ob sie je wieder etwas anderes ansehen wollte. Dann spürte sie einen starken Krampf im Bauch, aber nach allem, was sie durchlitten hatte, verdiente er die Bezeichnung Wehe nicht.
»Ich bin jetzt bereit zum Pressen.«
Alice kam mühsam mit einer Schüssel Wasser herüber, Leinentücher über dem Arm, und setzte alles ab. Sie schnaufte, lehnte sich vor und nickte. Carla presste. Alice massierte ihr den Bauch und half der Nachgeburt mit einem leichten Ziehen an der Nabelschnur nach, bis sie, begleitet von einer leichten Blutung, erschien. Als sie mit der nächsten Wehe weiter herausglitt, faltete Alice die flache, glatte Scheibe in sich zusammen. So konnte Carla sie leichter herauspressen. Noch etwas Blut sickerte auf die Handtücher, doch das schien weder Alice noch Carla weiter zu beeindrucken.
»Ist etwas gerissen?«
»Nein, alles unversehrt. Willst du dies sehen?«
Carla lehnte sich vor, und Alice legte die Nachgeburt auf die Tücher. Sie war etwa so groß wie ein Essteller, und eine Seite war von Blutgefäßen durchzogen. Alice tastete sie ab.
»Wir müssen diese Seite des Mutterkuchens genau untersuchen, um sicher zu sein, dass alle Lappen intakt sind. Doch wie du siehst, ist alles in Ordnung, und es ist nichts in deiner Gebärmutter zurückgeblieben.«
Carla nickte. Sie hatte noch nie zuvor ihre Nachgeburt angeschaut und war ganz verwundert, dass sie ein solch seltsames Ding hervorgebracht hatte und dass es ihre Verbindung zum Kind gewesen war.
Alice blähte die Wangen.
»Und damit können wir das Wunder für abgeschlossen erklären und Mutter Natur all unseren Dank abstatten, denn ihr Genie gilt es hier zu ehren. Natürlich steht es dir frei, auch zu jedem anderen Gott oder Götzen zu beten.«
Carla schaute Alice an. Ihre Gesichtszüge waren eingefallen. Der Tag hatte auch von ihr seinen Tribut verlangt, mehr als Carla bisher hatte sehen können. Oder mehr als Alice sie hatte sehen lassen. Im grauen Winter ihrer Augen leuchtete die Ankündigung eines weiteren süßen Frühlings, doch er verriet auch das Wissen, dass dies ihr letzter Frühling sein würde. Carla machte den Mund auf und wollte sprechen, fand aber keine Worte, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Alice verzog den Mund, als wollte sie übermäßige Gefühlsausbrüche abwenden, aber Carla musste einfach eine Geste machen.
»Hier, halte du Amparo.«
Carla hielt ihr das Kind hin und sah, dass Amparo schlief. Der kleine Mund war noch offen an der Brust, die Lippen gelb von der ersten Milch. Wieder war Carla entzückt.
»Lass Amparo an deiner Brust ruhen, das Schätzchen braucht es. Du glaubst doch nicht, dass sie bei all dem Theater geschlafen hat. Meine Freude kann warten, bis wir die Nabelschnur versorgt haben. Und dann lassen wir uns einen Krug Wein kommen, denn das alte Mädchen hier ist völlig ausgetrocknet.«
Alice stützte eine Hand auf den Oberschenkel, die andere auf das Bett und stemmte sich auf die Füße. Einen Augenblick lang stand sie reglos da und atmete schwer. Sie sprach, ohne sich umzudrehen: »Du hättest keinen schöneren Namen wählen können. Deine andere Amparo leuchtet.«
Alice überprüfte die Nabelschnur, band sie mit einem Faden ab und schnitt sie mit einem Messer durch. Dann trug sie eine Salbe auf. Amparo hatte durchgeschlafen. Alice wischte das Blut ab und wusch Carla mit einem Schwamm, was die beinahe auch einschlummern ließ. Gemeinsam genossen sie das Vergnügen, Amparo zum ersten Mal zu waschen. Immer noch wachte das Kind nicht auf, wenn es auch die Lippen bewegte und man unter
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