Die Blutnacht: Roman (German Edition)
zurück und lächelte, um anzudeuten, dass es eine geben würde.
»Wohin werden sie ihn bringen? Oder seinen Kopf ?«
Paul deutete mit dem Daumen über die Schulter.
»In den Hinterhof, bis er abgeholt wird.«
Grymonde wartete und schwieg.
»Sie wollen diese Frau unter allen Umständen auftreiben«, sagte Paul. »Warum, haben sie nicht erklärt, aber welche Gründe sie auch heute Morgen hatten, jetzt haben sie ein paar mehr, nicht wahr? So lösen sich Intrigen auf – wenn unerwartet Köpfe rollen. Wer weiß, was diese Dame aus dem Süden noch alles ans Licht bringt? Sie können sie nicht entkommen lassen. Und jetzt wissen sie, dass du sie hast.«
»Wieso?«
»Als man ihre Leiche nicht gefunden hat, gab es Fragen. Gerüchte. Dass du mein vollstes Vertrauen genießt, hat sie nicht ganz beruhigt. Deine Geschichte von der Grube hat sie in ihrem Verdacht bestätigt.«
Grymonde spürte, wie ihm der Schweiß über die Stirn rann. Er wischte ihn nicht ab.
»Der kleine grüne Scheißkerl. Du hast mich ihm vorgeführt wie einen Schlachtochsen.«
»Keineswegs, mein Freund. Niemand hat dich gezwungen, die Frau mit nach Hause zu nehmen. Hierher zu kommen. Hier Lügen zu erzählen, die sogar Maurice gewittert hätte. Und ich habe dich laut gewarnt, dass der Grüne ein Lauscher ist.«
Grymonde stieg die Galle auf. Papst Pauls Wahrheiten waren scharf geschliffen. Er spürte, wie seine Messer, denen er mehr vertraute, erneut an der Haut kribbelten.
»Wen habt Ihr auf Carla angesetzt?«
»Niemanden«, antwortete Paul. »Das haben sie mir nicht aufgetragen. Ich hätte auch nicht gewusst, wen ich schicken sollte. Niemand, der gut genug wäre, wäre so töricht gewesen, sich nach Cockaigne zu trauen. Gekaufte Mörder mögen keine Gefahr; deswegen zahlt man ihnen so viel Geld. Und ich weiß nicht, wo diese Frau ist, wie konnte ich es denen da sagen?« Er sah Grymondes Gesichtsausdruck. »Ich weiß nicht, wie man nach Cockaigne kommt. Ich musste nie dort hin. Mein Land, wo Milch und Honig fließen, ist hier.«
»Ihr kennt Leute, die es wissen.«
»Der kleine grüne Scheißkerl weiß es wohl auch.«
»Was meint Ihr?«
»Nun, sie haben mich nicht gefragt, wo man sie finden kann«, meinte Paul. »Sie müssen andere Quellen haben. Und mächtige Helfer.«
Wahrheit, Lügen, Intrigen. Grymonde hörte zu denken auf. Besser auf den Bauch hören.
»Rody.«
»Ein Geldeintreiber.«
Grymonde schüttelte den Kopf und erklärte genauer.
»Das Châtelet.«
»Ich weiß es nicht sicher. Also mache ich keine Annahmen.«
Paul hatte nichts für das Châtelet und seine Commissaires , für ihre unersättliche Raffgier und Scheinheiligkeit übrig. Es wurde allmählich klarer, welches Spiel er spielte. Wenn Grymonde dem Châtelet Schaden zufügen konnte, ohne dass man Paul dafür die Schuld zuwies, dann würde das fette Schwein vor Wonne beben. Wenn Grymonde dabei unterging, hatte Paul seinen Beitrag geleistet und denen geholfen. »Die« wollten Tannhäuser lebendig ; und sie waren trotz des allgemeinen Aufruhrs immer noch hinter Carla her.
»Ihr und fünf gedungene Mörder, das macht aber noch keine offizielle Untersuchung aus.«
»Seit wann sind die Machenschaften des Châtelet offiziell?«
»Schneidet ihnen die Titten ab, habt Ihr gesagt. Da hegt jemand einen Riesenhass.«
»Den gibt es heute im Überfluss. Hass ist noch törichter als Lügen.«
»Wer ist der kleine grüne Scheißkerl?«
»Ein Speichellecker. Christian Picart, ein Höfling aus dem Louvre. Ein Schriftsteller.«
»Ein Schriftsteller?«
»Er hat einmal ein Stück geschrieben, das niemand aufgeführt hat, und nun schreibt er Hasstiraden für eine von den militanten Bruderschaften. Die Pilger von Saint-Jacques. Petit Christian nennen sie ihn, weil er so einen kleinen Schwanz hat, dass er in einen Fingerhut passt und noch Platz für seinen Daumen ist.«
»Der kleine Scheißkerl hat mich also angeheuert?«
Paul zuckte die Achseln, immer der Rechtsanwalt, der er einmal gewesen war.
Grymonde bedachte sein Dilemma.
Wenn er alles Wissen für sich behielt, konnte er Carla – ohne zu lügen – sagen, dass er nicht wusste, wo ihr Mann war. Die Wahrheit eines Advokaten. Und vielleicht hätten die fünf gedungenen Mörder Glück; und dann wäre er allein Carlas Beschützer. Die Sehnsucht stieg ihm in sein angeschwollenes Herz. Er wollte nicht das Bett mit ihr teilen. Carla würde ihn akzeptieren, wenn er allem Bösen abschwor, und das würde er tun. Das hatte er bereits
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