Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
sich hochzuschieben, stach sie ihm blitzschnell in die Achselhöhle und zog den Dolch gleich wieder heraus. Er zuckte zusammen, und sie langte ihm über die Schulter und schnitt ihm die Kehle durch. Tief hinein und nach oben ziehen, wie bei Ebert, bis sie den Knochen spürte.
    Sie machte einen Schritt zurück, als das Blut aufspritzte, und stieß ihn nach vorn.
    Er bebte, fuchtelte noch mit dem Arm und klatschte dann in die große Lache seines eigenen Bluts. Pascale keuchte und schaute zu, wie er starb. Nicht lange herumlungern. Sie wischte den Dolch an seinem Rücken ab und steckte ihn in die Scheide zurück. Sie liebte ihren Dolch. Sie musste lernen, wie man ihn schärfte. Sie sah sich um. Sie waren beinahe am Rande des Marktes. Hier würde man die Leiche zu leicht finden. Ein Stall. Sie packte den Toten bei den Handgelenken und wollte ihn in die Stallgasse zerren. Er war zu schwer. Sie ging in die Hocke und stellte fest, dass sie ihn rollen konnte. Viermal gerollt, und er blieb in einem Misthaufen am Straßenrand stecken. Pascale wurde schwindelig, und sie schloss die Augen. Die Wölfin war verschwunden.
    Sie lehnte sich vor und übergab sich. Jetzt fühlte sie sich besser. Sie konnte auch wieder hören.
    Schon bald würde es dunkel sein. Sie mussten sich beeilen.
    Sie hob die Pistole wieder auf und rannte ins Haus zurück. Drinnen sah sie die zweite Leiche. Sie zwang sich, hinzuschauen. Das hatte sie angerichtet. Sie sollte es sich ansehen. Die Gewehrkugel hatte sich oben in den Rücken des Mannes gebohrt und irgendwie auch seinen Kiefer zerschmettert. Diese Männer waren nicht gekommen, um zu reden, sondern um zu töten. Am liebsten hätte sie auf die Leiche gespuckt. Würde Tannhäuser so etwas tun? Er würde darauf keine Mühe verschwenden. Und ihr Mund war viel zu trocken.
    Sie schaute zu Irène und ließ sie die Mündung ihrer Pistole sehen.
    Sollte sie sie auch umbringen?
    Irène las ihr diesen Gedanken vom Gesicht ab. Sie deutete auf die Tür und sprach sehr deutlich.
    »Ich kann niemandem etwas erzählen, das er nicht sagen kann.«
    »Wer?«, fragte Pascale.
    »Der, der davongekommen ist.«
    »Er ist nicht davongekommen. Er ist tot.«
    Irène holte tief Luft. »Ich habe versucht, sie nicht reinzulassen. Ich schwöre es. Ich habe ihnen gesagt …«
    »Bring uns Essen. In einem Sack. Schnell. Wenn du wegrennst, komme ich hinterher.«
    Pascale entspannte den Hahn der Pistole und ging die Treppe hinauf.
    Sie mussten fliehen. Aber wohin? Die Mäuse hatten ein Zuhause. Ein Zimmer. Eine Straße. Eine Gasse. Zuhälter. Mistkerle. Huren. Sie sollten es da versuchen. Würde Tannhäuser sie dort finden? Ja. Sie würde es ihm sagen. Der Rauch wirbelte immer noch. Sie hörte Juste weinen. Sie fragte sich, wie schwer verletzt er wohl war. Konnte er es durch das Fenster schaffen? Sie konnten auch durch die Tür gehen, aber wie bald würden andere Männer hier eintreffen? Sergents , die Miliz.
    Dann sah sie, warum Juste weinte.
    Er kniete auf allen vieren neben Flores leblosem Körper und starrte ihr ins Gesicht.
    Pascale ging zu ihm. Flore war schrecklich reglos. Pascale konnte diese Reglosigkeit jetzt erkennen. Es gab keine Reglosigkeit wie diese. Es war eine Schwere. Ein Schweigen. Sie verspürte nicht den Schock und das Leid, das sie hätte verspüren müssen. Vielleicht hatten ihr die Schreie ihres Vaters, der auf dem Scheiterhaufen verbrannte, diese Gefühle ein für alle Male aus der Seele verbannt. Sie waren alle nur wandernde Grabsteine. Zumindest war Flore schnell gestorben. Hätten sie sie gefangen genommen, so hätten sie sie eine nach der anderen vergewaltigt. Es war besser, nicht zu viele Gefühle zuzulassen. Gefühle nüttzen nichts. Sie machten einen nur schwach.
    Juste wandte ihr das Gesicht zu. Er war erschüttert.
    Pascale sagte: »Flore ist tot.«
    »Bist du sicher?«
    Pascale schaute auf Flores Gesicht. Es war halb unter blutigen Haarlocken verborgen. Pascale hockte sich hin und legte Flore eine Hand an die Wange. Nichts war mehr in ihr, nur der Tod. Pascale drehte sich das Herz im Leib um. Sie merkte, dass ihre Lippen bebten, und kniff den Mund zusammen. Traurig konnte sie später sein, wenn sie dann noch lebte. Sie sah Juste an.
    »Sie ist tot.«
    Pascale erinnerte sich an das Handgemenge und den Knüppel des Sergents .
    »Sie hätte die Pistole nehmen sollen, als ich es ihr gesagt habe.«
    »Was?«, fragte Juste.
    Er starrte sie an. Er hatte aufgehört zu weinen. Sie starrte zurück.
    »Ich trage

Weitere Kostenlose Bücher