Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
habe mir die Hand verletzt. Hilf mir nach unten.«
    Sie wartete.
    Juste neigte sich hinunter und küsste Flore. Er deckte ihr das Laken übers Gesicht. Dann trat er von ihr fort.
    Er nahm Pascales Hände, ließ sie vorsichtig herunter und löste dann seinen Griff. Sie landete sicher. Sie sammelte ihr Gewehr und die Pistolenholster ein. Juste sprang herunter. Er nahm den Sack und die Satteltaschen.
    Sie gesellten sich zu Agnès und Marie.
    Geduckt schlichen sie am Ufer entlang nach Osten.
    Pascale blieb im Schutz des zweiten Kahns stehen, wo die Miliz auf der Place de Grève sie nicht sehen konnte. Das Boot war mit Säcken voller Holzkohle aus den flussaufwärts gelegenen Wäldern beladen. Pascale reichte Juste das Gewehr und wühlte in der Tasche nach dem Pulverhorn und den Kugeln.
    »Kannst du es nachladen?«, fragte sie.
    Juste nickte. Er war in tiefe Traurigkeit versunken und schien froh zu sein, etwas zu tun zu bekommen.
    »Die Pistole auch?«, fragte er.
    »Die habe ich nicht abgefeuert. Bist du verletzt?«
    Juste bewegte eine Schulter und schüttelte den Kopf.
    Pascale setzte sich auf das Dollbord und bedeckte ihr Gesicht mit der Hand, um nachzudenken.
    Tannhäuser würde zu Irènes Gasthaus zurückkehren. Er würde Flore finden. Er würde die Nachricht lesen. Er würde alles sehen, was geschehen war. Er würde ihnen folgen. Er würde versuchen, so zu denken wie sie, Pascale. Und wenn er sah, was geschehen war, würde er wissen, dass sie wie er dachte. Das Gewehr war eine Belastung. Sie musste es zurücklassen. Die Pistolen, das Opium und das Gold würde sie mitnehmen. Sie würden in Tybauts Haus gehen. Tannhäuser würde diese Botschaft lesen. Niemand außer ihm würde sie verstehen. Er würde sie dort finden; wo immer es auch war.
    Sie zog Agnès und Marie eng an sich.
    »Können wir uns mit euch euer Zimmer teilen? Bei Tybaut?«
    Agnès und Marie schauten einander an, als fänden sie die Vorstellung merkwürdig.
    »Ja. Wenn ihr wollt.«
    Pascale verstaute das Gewehr zwischen dem Dollbord und den Kohlesäcken. Der andere Kahn war sauber, aber im Dreck ließ es sich besser verstecken.
    »Wir verbergen uns im Terrain, bis der Mond aufgegangen ist.«
    »Was ist das Terrain?«, fragte Juste.
    »Das Land um die Kathedrale. Felder, Wiesen, Obsthaine. Es ist ganz in der Nähe.« Pascale wandte sich zu den Mäusen. »Kennt ihr geheime Wege nach Hause? Durch die Gassen?«
    »Ja.«
    Die Mäuse wechselten einen weiteren verwunderten Blick. Sie schauten Pascale an.
    »Aber wir haben Tybauts Schlüssel«, sagte Agnès.
    »Gut«, antwortete Pascale.
    Sie fand, dass es nun dunkel genug war und sie gehen konnten. Sie warf sich die Holster über eine Schulter und den Sack mit ihren mageren Vorräten über die andere.
    »Was ist, wenn er uns nicht findet?«, fragte Juste.
    »Dann sind wir allein«, sagte Pascale, »und das sind wir jetzt auch schon.«

KAPITEL 26

S CHWESTERN
    Estelle mochte die Dächer. Sie waren viel sauberer als die Straßen, und meistens traf man hier oben keine Leute. Manchmal waren zwar andere Kinder da, die gemein sein konnten, besonders die Jungen, aber die sah sie gewöhnlich zuerst, und wenn nicht, dann war sie schneller. Einmal hatten einige Jungen sie an den Fußgelenken über die Dachkante gehalten, nur um sie zum Schreien zu bringen, aber sie hatte nicht geschrien, und die Jungen hatten sie nicht fallen lassen. Sie kannte einen der Jungen und hatte Grymonde erzählt, was er gemacht hatte. Als sie ihn das nächste Mal sah, hatte er keine Ohren mehr.
    Wenn sie daran dachte, wie Grymonde vom Dach gefallen war, wollte sie weinen. Aber sie musste sich ja um ihre neue Schwester Amparo kümmern, und wenn sie so sehr weinte, wie sie es gern getan hätte, konnte sie das Kind nicht festhalten. Also weinte sie nicht.
    Amparo schien die Dächer auch zu mögen. Ihre kleinen Augen waren offen, schauten auf die Sterne und sahen Estelle an. Amparo weinte auch nicht. Sie hatte allerdings nicht gesehen, wie Grymonde fiel, und sie verstand nicht, was geschah, aber es half Estelle. Estelle fragte sich, ob sie die ganze Nacht über auf den Dächern bleiben sollten. Hier oben gab es viele versteckte Winkel. Aber sie hatte Carla ein Versprechen gegeben. Zumindest hatte sie Ja gesagt, was eine Art Versprechen war. Estelle wollte ihr Versprechen nicht brechen, weil sie nicht glaubte, dass Carla so etwas tun würde, es seidenn, es ginge nicht anders. Andererseits wollte sie ihr Versprechen gar nicht gern halten.
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher