Die Blutnacht: Roman (German Edition)
hier die Verantwortung. Wenn du nicht mit uns mitkommen willst, musst du nicht.«
»Ich will gar nichts.«
Pascale legte die Pistole auf den Boden und stand auf.
»Lass uns Flore aufs Bett legen. Ich nehme ihre Beine.«
Flore war leichter, als Pascale erwartet hatte.
»Flore war eine wunderbare Schwester. Ich hatte großes Glück.«
Sie legten sie aufs Bett, und Juste ergriff Flores Hand und setzte sich neben sie. Pascale schaute sich die Wunde an. An der linken Seite von Flores Kopf war hinter dem Auge eine Vertiefung. Blut war aus Platzwunden am Schädel ausgetreten.
»Hol das Laken vom anderen Bett. Decke sie zu.«
Pascale ging das Gewehr holen. Der Korridor schwamm im Blut des ersten Sergents , den sie getötet hatte. Sie brachte das Gewehr ins Schlafzimmer, wischte es an einem Kissen ab und lehnte es beim Fenster an die Wand. Juste hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Sie zog das Laken vom anderen Bett und warf es Juste auf den Schoß. Sie steckte die Pistole ins Holster zurück. Dann trug sie die Holster zum Fenster und lehnte sich hinaus.
»Seid ihr noch da?«, rief sie.
Agnès und Marie tauchten aus dem Dämmerschein auf. Sie winkten. Pascale winkte zurück. Sie ließ die Pistolen in den Garten fallen. Dann holte sie das Gewehr und ließ es am Lauf langsam nach unten. Es überraschte sie, wie heiß das Metall war. Sie ließ auch das Gewehr fallen.
»Agnès, Marie, wisst ihr, wie ihr von hier nach Hause kommt? Zu Tybauts Haus?«
Sie nickten.
»Wartet auf mich.«
Sie drehte sich um. Juste hatte sich nicht bewegt.
Pascale ging auf den Korridor und brüllte hinunter.
»Irène? Wo bleibt unser Essen?«
Irène kam mit einem Mehlsack. Er war nur zu einem Viertel angefüllt. Tannhäuser hatte die Frau gut bezahlt. Aber jetzt war keine Zeit zum Streiten. Pascale streckte die Hand nach dem Sack aus. Irène kam die Treppe heraufgestiegen. Sie sah Blut über die Stufenrinnen und blieb stehen. Sie blickte voller Hass auf Pascale. Die platschte die Stufen hinunter. Irène zuckte zusammen, als ihr ein paar Tropfen auf die Wange spritzten. Sie hielt Pascale den Sack hin. Pascale nahm ihn nicht.
»Tannhäuser kommt zurück. Wenn du irgendjemandem von uns erzählst, wird er es erfahren und diese Leute umbringen, und dann tötet er dich. Ich würde dich ja töten, aber ich weiß nicht, ob er das machen würde.«
Irène hasste sie immer noch, aber jetzt hatte sie auch Angst. Pascale nahm den Sack.
»Geh wieder nach unten, bis er kommt. Sag ihm, dass wir auf ihn warten.«
»Wo?«, fragte Irène.
»Das weiß er.«
Pascale kehrte in das Schlafzimmer zurück und ließ auch den Sack durchs Fenster fallen.
Juste hatte Flore bis zum Kinn mit dem Laken zugedeckt. Er hielt noch immer ihre Hand.
»Juste, lass uns gehen. Sie sind gekommen, um uns umzubringen.«
»Ich weiß. Ich hatte unrecht.«
»So habe ich das nicht gemeint. Ich meine, dass sie nur eine von uns bekommen haben, nicht alle fünf.«
»Ich bleibe hier bei Flore.«
»Andere könnten kommen. Wir wissen es nicht.«
»Ich hoffe, sie kommen.«
»Ich liebe Flore auch.« Pascale hätte beinahe gesagt: Mehr als du . »Sie war besser als ich. Genau wie Papa ein besserer Mensch als Tannhäuser war. Flore und Papa sind tot. Du bist auch ein besserer Mensch als ich. Aber ich brauche dich, also darfst du nicht sterben.«
»Ich hätte gestern Abend sterben sollen, im Louvre.«
»Bist du aber nicht. Flore hätte heute Morgen sterben sollen. Ist sie aber nicht. Und bei all dem hier …«
Pascale wollte weinen und beschloss, dass sie das nicht tun würde.
»Bei all dem hier hast du dich verliebt und sie sich auch.«
Juste würgte. Er wandte sich ab.
»Komm mit, Juste. Tannhäuser wird uns finden. Er gibt nicht auf. Aber bis er uns findet, brauche ich dich. Die Mäuse brauchen dich. Deine Mäuse.«
Sie nahm dem toten Sergent die Kappe vom Kopf und tauchte sie in sein Blut. Papa hatte ihr beigebracht, wie man in Schwarz druckt. Tannhäuser in Rot. Sie ging ins Schlafzimmer zurück.
Sie schrieb ein Wort an die Wand. MÄUSE.
Sie ging zum Fenster. Sie sah Milizmänner am anderen Ufer, die im schwächer werdenden Licht zu ihnen herüberschauten. Sie hatten wohl die Schüsse gehört. Sie schwang ein Bein über die Fensterbank, dann das andere. Sie drehte sich auf den Bauch, stützte das Gewicht auf die Ellbogen. Sie hätte sich fallen lassen können. Aber wenn Juste Flores Hand losließ, schaffte er es vielleicht, sie auch hier zurückzulassen.
»Juste, ich
Weitere Kostenlose Bücher