Die Blutnacht: Roman (German Edition)
dann auf.
Pascale drehte sich um, hob Marie hoch und setzte sie auf das Fensterbrett.
»Mach die Augen zu, Marie. Agnès hat es ganz leicht geschafft.«
Flore kam hereingerannt. Sie hatte Angst, große Angst, war aber entschlossen, so ruhig wie möglich zu sein. Sie erinnerte Pascale an ihren Vater, kurz bevor die Miliz ihn fortgeschleift hatte.
»Pascale, wir glauben, dass wir mit ihnen reden sollten. Es ist die Polizei, nicht die Miliz …«
»Nimm eine Pistole und gib Juste auch eine. Spannt die Hähne.«
»Aber die wollen vielleicht nur reden …«
»Wenn sie die Treppe heraufkommen, erschieße sie.«
Marie hatte ohne weitere Anweisungen Agnès’ Beispiel nachgeahmt. Pascale hielt sie aus dem Fenster und hatte sie schließlich nur noch bei den Handgelenken.
»Pascale?«, fragte Juste.
»Jetzt mach die Augen auf und schaue nach unten«, sagte Pascale. »Bist du so weit?«
»Ja«, antwortete Marie.
Pascale ließ sie fallen, und sie landete so leicht wie ihre Zwillingsschwester. Pascale zog den Kopf wieder ins Zimmer und packte die Satteltaschen. Pulver und Kugeln, aber sie würde ohnehin keine Gelegenheit zum Nachladen haben. Opium und Gold. Besser, dass die Mäuse es Dieben gaben, als dass es die Polizei bekam. Dann wäre auch die Chance größer, dass sich ein Schurke ihrer erbarmte.
Juste stand vor ihr.
Er war ein guter Mann. Er war sanft. Er war tapfer. Er war der Allerschönste. Das verstand sie. Vielleicht hatte er recht. Aber sie war eine Kämpferin.
Sie trug die Verantwortung.
»Pascale, denk nach«, drängte Juste. »Tannhäuser würde auch mit ihnen reden.«
»Vor Tannhäuser würden sie sich fürchten. Nimm eine Pistole …«
»Hör doch, wir könnten sie bestechen.«
Pascale ließ die Satteltaschen in den Garten fallen und lehnte sich aus dem Fenster.
»Marie, Agnès, nehmt die hier und versteckt euch unten am Fluss. Wenn ihr einen Mann an dieses Fenster oder an die Hintertür treten seht, lauft weg. Geht nach Hause. Habt Ihr ein Zuhause? Tybauts Zuhause?«
Die Mäuse nickten und hoben die Satteltaschen auf. Sie taumelten unter ihrer Last durch den Garten.
Pascale holte tief Luft. Sie sah in nicht allzu großer Ferne die Totenkarren.
Sie hatte recht. Und Juste hatte unrecht.
»Wenn wir wegrennen, kommen sie hinter uns her«, sagte Juste.
»Nicht, wenn wir sie erschießen.«
»Es sind Sergents .«
»Das ist mir egal.«
»Wir können nicht alle drei töten.«
»Wir haben drei Waffen«, sagte Pascale. »Und sie glauben, dass wir Kinder sind.«
»Wir sind ja auch Kinder, oder?«
»Warum versucht Irène, sie nicht ins Haus zu lassen? Sie wollen uns was Böses antun.«
»Dann geht ihr beiden, Flore und du, und ich rede mit ihnen. Ich kann sie zumindest aufhalten. Geht!«
Pascale wollte an ihm vorüberrennen, um das Gewehr zu nehmen.
Er stieß sie zurück und packte Flore bei den Schultern.
»Ich liebe dich«, sagte er.
Er umarmte sie, und Flore schluckte schwer. Juste schob sie auf Pascale zu.
Er ging zur Tür. Von unten waren über Irènes Protestgeschrei hinweg schwere Schritte zu hören.
Pascale rannte und nahm eine Pistole aus dem Holster.
»Flore, nimm das, wie Papa uns gesagt hat.«
Flore eilte hinter Juste her.
Pascale langte nach dem Gewehr, das schussbereit war. Im Dämmerlicht des Korridors raste ein wilder Wirbel von Bewegungen und Lärm von links nach rechts an der Tür vorüber. Grobe Flüche. Juste brüllte und taumelte zurück. Ein Sergent verfolgte ihn, hatte einen eisenbeschlagenen Knüppel hoch erhoben. Auf dem Flur schrie Flore auf.
Pascale konnte nicht sehen, was geschah.
Als sie das Gewehr hob, kam der Sergent wieder in Sicht, taumelte krachend in die Tür und hielt sich am Rahmen fest, um das Gleichgewicht zu wahren. Juste hatte beide Hände um die Kehle des Mannes gekrallt.
Angst und Schrecken erfassten Pascale.
Sie war wie benommen. Die Furcht stieg ihr aus dem Bauch bis in den Kopf auf. Sie wankte und ließ das Gewehr fallen.
Stell es dir vor. Stell es dir vor.
Die Wölfin hatte sie gepackt. Pascale schloss die Augen und sah sie. Einen Augenblick lang wartete die Wölfin auf sie. Sie war herrlich. Sie fletschte die Zähne. Speichel troff ihr aus dem Maul. Ihre Augen waren blau.
Spring jetzt, dann darfst du vielleicht auf meinem Rücken reiten.
Pascale zückte den Dolch und griff an.
Sie rannte und duckte sich, als der Sergent Juste mit dem Knüppel an der Schulter streifte und der zurückflog. Pascale sah nur den Körper des Sergents
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