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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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nur, du wolltest sie vielleicht selbst auch halten.«
    »Das möchte ich, Estelle, wirklich. Aber wenn ich sie auch nur einmal halte, wäre der Sturm weniger wild. Und wenn wir Carla Amparo wiedergeben wollen, muss der Sturm schrecklich sein.«
    »Das hat dir dein Engel gesagt, nicht?«
    »Mein Engel?«
    »Der Engel mit den schwarzen Flügeln.«
    »Ihre Großmutter hatte eine Gabe«, erklärte Grymonde. »Sie hat Dinge gesehen, die die meisten von uns nicht sehen.«
    Estelle wusste nicht, dass sie eine Großmutter hatte. Sie wollte sich nach ihr erkundigen.
    »Ich verstehe«, sagte Tannser. »Besondere Gaben überspringen oft eine Generation.«
    »Wir haben auch einen Engel«, erklärte Estelle. »Carla hat ihn mit Amparo und mir mitgeschickt. Er hat Flügel aus Mondlicht. Der Engel hat mir gesagt, dass ich Amparo zu dir und nicht zu den Nonnen im Kloster bringen soll. Ich hoffe, dass Carla darüber nicht böse ist.«
    »Ich stimme dir und deinem Mondlichtengel zu. Amparo soll besser bei uns ihr Glück versuchen, als bei diesen schwarzen Krähen. Carla wird so stolz auf dich sein wie ich. Ich danke euch beiden.«
    Tannser wandte sich ab und nahm den geschärften Speer auf. Er ergriff Grymondes rechte Hand und gab ihm den Speer zu halten.Grymonde stellte den Speer auf den Boden, und Estelle konnte sehen, dass er sich dadurch sicherer auf den Beinen fühlte. Er strich mit dem Finger über die Klinge, saugte sich einen Tropfen Blut vom Finger und nickte.
    »Was ist in deiner Tasche?«, fragte Tannser.
    »Eine Pistole.«
    »Und Pulver und Kugeln und eine Börse voller Gold«, fügte Grymonde hinzu.
    Tannser nahm die doppelläufige Pistole heraus. Er untersuchte sie.
    »Das ist eine von Peter Peck. Die ist ein Vermögen wert.«
    »Das hat vielleicht das Schwein gezahlt, von dem ich sie gestohlen habe«, meinte Grymonde.
    Tannser roch an den Läufen. »Damit ist kürzlich geschossen worden.«
    »Nicht von mir.«
    »Ich habe Papin erschossen«, sagte Estelle. »Er ist vom Dach gefallen, nachdem du gestürzt warst.«
    Die Männer schauten sie schweigend an. Sie erwartete, dass sie sie tadeln würden.
    Grymonde begann wie ein Wahnsinniger zu lachen. Tannser blinzelte ihr zu. Sie fühlte sich gut. Tannser zog ein Pulverhorn, eine Kugel und ein Zündpflaster heraus und lud den Lauf erneut.
    »Können wir mit euch mitkommen?«, fragte Estelle.
    »Nein«, antwortete Grymonde. »Wartet hier auf uns. Hier seid ihr in Sicherheit.«
    Estelle schaute Tannser an.
    »Ich kann immer noch auf seinem Rücken fliegen. Jetzt kann ich die Augen des Drachen ersetzen, anstelle der Flügel.«
    Tannser musterte sie. Sie sah wieder die unsichtbaren Dinge, die sie erzittern ließen. Er schaute auf Amparo. Estelle zitterte noch mehr. Tannser stieß Grymonde mit dem Ellbogen an.
    »Was meint Estelle?«
    »Ich habe La Rossa viele Male auf meinen Schultern herumgetragen, überall in der Stadt.«
    Tannser packte das Pulverhorn ein. Er löste den Knoten auf, den Estelle in den Riemen gemacht hatte, und hängte Grymonde dieTasche über die Schulter. Estelle zog den Schlüssel hervor, den sie um den Hals hängen hatte.
    »Darf ich die Peter Peck spannen?«
    Tannser schaute sie wieder an, hielt ihr dann die Pistole hin, und sie spannte die Waffe.
    »Grymonde, in welchem Schatzkästchen hast du denn dieses Mädchen gefunden?«
    »Das ist eine Geschichte, die nur ich kenne und die ich niemals erzählen werde.«
    Tannser winkte einen Jungen mit einer Hasenscharte heran. Der Junge hielt einen kahlen Hund an der Leine.
    »Grégoire, das ist Estelle, und das ist ihre Schwester, meine neue Tochter Amparo.«
    Grégoire lächelte und verbeugte sich. Er war hässlich, hässlicher als sein Hund, aber er schien nett zu sein.
    »Grégoire, ich sehe da drüben auf dem Tisch einen Weinschlauch. Leere ihn aus und bringe ihn her.«
    Tannser steckte Grymonde die Pistole in den Gürtel.
    »Die Pistole ist für Estelle«, sagte Tannser. »Wenn sie dich darum bittet, gib sie ihr.«
    »Was ist das für ein Wahnsinn?«, fragte Grymonde.
    »Meine Tochter kommt mit mir«, sagte Tannser.
    Tannser schaute zu Estelle. Die hielt die Luft an.
    »Wenn sie es wünscht, kommt auch ihre Schwester Estelle mit uns.«
    »Nein«, antwortete Grymonde. »Sie bleibt hier.«
    Estelle wollte mitgehen. Grymonde litt bei dieser Vorstellung, aber warum? Warum wollte er, dass sie hierblieb, bei all den Toten und ohne ihre Schwester? Sie wagte nicht zu sprechen.
    »Können Kinder solche Entscheidungen

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