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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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wusste, was wissenswert war, und die doch nichts wusste. Er spürte am Hinterkopf das leise Pochen ihres tapferen neuen Herzens, während sein Herz ihm ungeheuer gegen die Rippen klopfte. Wie seltsam! Wie wunderbar! Pfade zu beschreiten, die nie jemand betreten hatte. Er spürte, dass jemand hart an seinem rechten Ohr zog.
    »Wir biegen nach Süden ab«, sagte Estelle.
    »In den Rachen des Feindes. Gut.«
    Grymonde blieb stehen und änderte auf der Stelle die Richtung. Er würde nicht fallen. Er ging weiter, stampfte und stach auf die Erde ein. Der schmutzige Pfad unter seinen Füßen neigte sich nun leicht nach unten. Sie hatten die Höfe verlassen und gingen parallel zur Rue Saint-Denis. Er spürte, dass Estelles Knöchel an seiner Brust hing, und drückte ihn leicht.
    »Wie geht es meinen Schätzchen?«
    »Vor uns liegen Leichen auf dem Boden. Hugenotten, glaube ich. Tannser zerrt sie für uns aus dem Weg. Grégoire! Lass Grymonde deine Schulter fassen, wenn wir da vorbeigehen.«
    Grymonde spürte, dass sie auf seinen linken Arm schlug, ließ ihren Fuß los und streckte die Hand aus. Eine andere Hand ergriff die seine, stärker, als er vermutet hätte, und legte seine Handflächen auf eine knochige Schulter.
    »Danke, mein Junge.«
    Grymonde stampfte weiter. Er hielt den Speer vertikal zur Seite, weil er Angst hatte, sonst den Jungen zu stechen. Er spürte eine Hitze, ein Glühen. »Grégoire, trägst du eine Laterne?«
    »Ja, Sire.«
    »Sire?« Grymonde spürte, wie ein Lachen in ihm hochstieg. »Seid so listig wie die Schlangen. Sag mir Junge, suchst du mit deiner Lampe nach dem Gerechten? Sogar auf dieser Straße des Satans?«
    Grégoire blieb stehen. Grymonde hätte ihn beinahe umgerannt. Er hielt ihn aufrecht.
    »Tannhäuser kämpft da vorn mit jemandem«, näselte der Junge. Grymonde hörte einen Schmerzensschrei.
    »Tannser hat auf einen Mann geschossen«, erklärte Estelle. »Jetzt rennt er. Er hat einen zweiten mit dem Dolch gestochen.«
    »Bringt mich an seine Seite.«
    »Nein, wir sind deine Augen und Flügel. Wir sagen dir, wenn die Zeit gekommen ist, Feuer zu spucken. Jedenfalls hat er alle drei getötet.«
    »Drei?« Hilflosigkeit und Neid brannten in ihm.
    »Sie haben Leichen beraubt. Tannser zerrt sie aus dem Weg. Jetzt können wir weitergehen.«
    »Tannser!«, rief Grymonde. »Noch einen Stein der Unsterblichkeit. Oder lass mich kämpfen.«
    »Sei ruhig.« Estelle schlug ihm auf den Kopf. »Tu, was man dir sagt.«
    Seine Füße platschten durch Lachen von, wie er annahm, frischem Blut. Er biss die Zähne zusammen. Er war nicht der gewesen, der dieses Blut vergossen hatte. Die Bewegung schmerzte an seinenBrandblasen. Er fuhr zusammen, als Tannser ganz in seiner Nähe sprach. Selbst mit all dem Gepäck beladen bewegte sich der Mann leise wie ein Leopard.
    »Eine Mörderbande, die ein Haus ausraubt, etwa eine halbe Achtelmeile von hier.«
    »Nimm mir diesen Cherubim von der Schulter, und dann wollen wir uns auf die Bande stürzen.«
    Finger, die hart wie Eiche waren, gruben sich in seinen Arm. Grymonde war es nicht gewöhnt, getröstet zu werden. Der bloße Gedanke an Trost war ihm lange aus dem Gedächtnis geschwunden, und doch fühlte er sich getröstet.
    »Sie zu töten ist keine große Sache, aber es könnte reichen, dass jemand wegrennt und Alarm schlägt. Les Halles wimmelt nur so von Wachleuten und Sergents . Ich schlage vor, wir überqueren die Rue Saint-Denis. Gibt es eine Stelle, von wo aus wir das Hôtel Le Tellier beobachten können, ohne gesehen zu werden?«
    Grymonde versuchte den Schmerz zu verdrängen, der seine Gedanken vernebelte. Er versuchte sich das Hôtel und seine Umgebung vorzustellen. Er hörte den Jungen einen Schwall unverständlicher Worte ausstoßen.
    »Ein Viehhof, sagt Grégoire.«
    »Er hat recht. Hinter Crucés Schlachthof.« Grymonde sah alles vor sich. »Der Hof sollte leer sein, bis sie das Stadttor aufmachen. Ein, zwei Treiber höchstens, die sich besaufen gehen, wenn man ihnen ein paar Sous gibt.«
    Die harte Hand ließ seinen Arm los, und er vermisste sie und fühlte sich töricht. Estelle trat ihm ihre beiden Hacken in die Brust, und er stampfte weiter. Wieder spürte er die eichenharten Finger. Diesmal drückten sie ihm eine kleine weiche Kugel in die Handfläche. Er schloss die Faust über dem Stein der Unsterblichkeit. Er wehrte sich gegen die Unterstellung, dass er nicht standfest war.
    »Ich komme ohne das aus.«
    »Wie du willst. Aber du zuckst wie die

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