Die Blutnacht: Roman (German Edition)
gefunden. In seiner gegenwärtigen heiteren Gelassenheit konnte er ihn beinahe glauben.
»Ich kann nicht rennen«, sagte er. »Aber du und die Nachtigall, ihr könnt das. Versprich mir, dass ihr rennt.«
»Schnell«, zischte La Rossa. »Sie gehen gleich die Treppe hinauf.«
Er spürte, dass sie an seinem Gürtel zerrte, machte einen Schritt nach vorn und hielt die Armbrust in der Linken ausgestreckt, seitlich vom Körper, die Säule auf Hüfthöhe, wie er es geübt hatte. Er spürte, wie Estelle die Schulter gegen seinen Bauch presste, als sie die Kontrolle übernahm. Er hörte die Nachtigall gurren. Väter und Töchter, dachte er. Wo gab es zwei Paare, die ihnen glichen?
»Ich bin so stolz auf dich wie Tannhäuser auf seine Nachtigall. Nein, ich bin stolzer.«
»Still. Tannser hat einen erschossen. Halte fest! Die Tür geht auf. Er hat noch einen, nein zwei, mit einem Pfeil erschossen, er ist durch einen durch in den nächsten gegangen. Aber er ist nicht tot. Halte fest!«
Grymonde packte die Säule und gab nach, so dass sie zielen konnte. Dann flog der Bolzen. Nach dem dumpfen Surren der Sehne hörte er erschreckte Schmerzensschreie.
»Spann die Saite, schnell, spann die Sehne.«
Grymonde beugte sich herunter und schob den Steigbügel über seine Zehen.
»Sag mir, was du siehst.«
»Tannser hat angegriffen, er hat den letzten Banditen in den Nacken gestochen, den Mann, den der Pfeil verwundet hatte, und der Sergent ist zur Tür gelaufen und hat sie aufgemacht, um ins Haus zu kommen, und Tannser hat ihn umgebracht, und sie können die Tür nicht schließen, weil seine Leiche im Weg ist. Er stürmt ins Haus. Da drin sind Männer, ich weiß nicht, wie viele. Ich kann nicht mehr sehen, was geschieht.«
Grymonde zog die Sehne mit beiden Händen und spürte, wie sie einrastete. Er nahm seine vorige Position wieder ein und spürte, wie La Rossa einen frischen Bolzen einlegte. Den letzten Banditen?
»Du hast einen von den Banditen getroffen?«
»Ja, aber er kriecht fort. Ich schieße noch einmal auf ihn.«
»Warte, er ist nicht mehr im Gefecht, und vielleicht brauchst du den Schuss.«
»Ja, er kriecht nicht mehr. Jetzt wieder, aber langsamer. Ich glaube, er stirbt. Da ist Tannser! Tannser ist wieder herausgekommen.« Sie kicherte. »Jetzt hat er dem Kriecher einen Knüppel über den Kopf gezogen. Er zerrt zwei Leichen die Treppe hinauf und durch die Tür.«
»Er kann wirklich gut mit Leichen umgehen, das muss man ihm lassen.«
»Er ist wieder herausgekommen. Er geht weg, zurück zu, nein … er hat einen Bogen aufgehoben, er hat ihn wohl fallen lassen. Er hat mir mit dem Bogen zugewinkt.«
»Das war ein Salut. Du hast ihm das Leben gerettet.«
»Er zerrt die letzten beiden Leichen ins Haus. Jetzt sind alle drin. Er hat die Tür zugemacht.«
Grymonde spürte, wie sie die Säule der Armbrust losließ. Sie legte ihm die Arme um die Taille, und er fühlte ihren Kopf an seinem Bauch. Er hob die Armbrust hoch. Er spürte, wie sie zitterte. Und er spürte den Druck eines anderen kleinen Körpers.
»Pass auf die Nachtigall auf. Weinst du?«
Sie trat einen Schritt zurück. »Nein.«
Er tastete mit seiner freien Hand. »Wo bist du?«
»Da kommt ein Sergent vom Fluss hoch. Er geht zum Haus.«
Grymonde dachte darüber nach. La Rossa war schneller.
»Mach dich bereit! Wenn er in die Nähe der Laterne über der Tür kommt, schieße ich.«
Grymonde senkte die Armbrust und richtete sie aus. La Rossa nahm die Säule.
»Es ist Sergent Rody.«
»Rody? Der blöde Scheißkerl.«
»Er führt jemanden am Arm, einen Jungen. Warte, es ist Hugon.«
»Unser Hugon?«
»Sag ihm, er soll wegrennen. Rufe. Schnell!«
Grymonde holte Luft und brüllte.
»Lauf, Hugon! Lauf um dein Leben.«
Seine Verbrennungen explodierten ihm im Gesicht.
»Halt sie ruhig!«, befahl La Rossa.
Er packte die Säule. Die Sehne sang.
»Ich habe Rody oben am Bein erwischt, ich glaube, in den Eiern, er ist auf die Treppe gefallen.«
»Bring mich zu Rody, mach schnell. Gut getroffen, meine La Rossa.«
»Hugon kommt.«
Grymonde schwang die Armbrust herum, berührte damit den Zaun und lehnte die Waffe dagegen. Er spürte, wie die Pistole aus seinem Gürtel verschwand. Er hörte Klicken.
»Erschieße ihn nicht.«
»Das mache ich nicht.«
Estelle nahm seinen Zeigefinger und zog daran, und er folgte ihr.
»Rody, was?«, sagte er. »Auch kleine Fische schmecken lecker.«
»Grymonde?«
Hugons Stimme war voller Entsetzen. Grymonde fragte sich
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